Passauer Neue Presse – Urlaub für die Augen

Seit 25 Jahren hat Rosamunde Pilcher ihren festen Platz im ZDF. Millionen lieben, leiden und träumen mit ihren Heldinnen und Helden. So sicher auch am Sonntag, wenn es zum Jubiläum gilt, „Das Geheimnis der Blumeninsel“ zu lüften. Aber was ist das Geheimnis dieser unverwüstlichen Romanzen?

Die Hauptdarstellerinnen auf der "Blumeninsel": Eva-Maria Grein von Friedl (l.), Marie Theres Kroetz Relin – und die Küste in Cornwall.– F.: Ailes/ZDF
Die Hauptdarstellerinnen auf der „Blumeninsel“: Eva-Maria Grein von Friedl (l.), Marie Theres Kroetz Relin – und die Küste in Cornwall.– F.: Ailes/ZDF
 

 

 

Es heißt: „Die Liebe ist langmütig (…), sie verträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“ Eine biblische Weisheit – und ein Ideal, freilich. Aber ein Ideal, von dem Millionen Menschen träumen, nicht zuletzt Sonntag für Sonntag, wenn vor dem Fernsehschirm die Entscheidung ansteht: Krimi oder Herzkino? Es ist nicht nur eine Entscheidung zwischen Mann und Frau, auch wenn Männer das sicher noch seltener zugeben würden als Frauen. Denn wie so manches zwischen volkstümlicher Musik und „Fifty Shades of Grey“ gehören auch die Filme (und Bücher) von Rosamunde Pilcher, Inga Lindström, Katie Fforde, Utta Danella oder Cecilia Ahern in die Kategorie softer Unterhaltung, von der sich erstaunlich viele fast schon beleidigt distanzieren – deren Einschaltquoten aber trotzdem konstant bei fünf bis sechs Millionen liegen. Blickt man auf Pilcher, ist das beachtlich nach 25 Jahren. Den ersten Pilcher-Film am 30. Oktober 1993 sahen gut acht Millionen.

„Nein, ich stehe dazu: Wenn das Leben mal wieder recht hart ist, wenn ich entspannen und träumen möchte, dann gönne ich mir ein Glas Wein und die Couch und tauche ein in einen Pilcher“, sagt Maria Fuest aus Trostberg. Die 55-Jährige freut sich dann auf „ein wunderbares Liebesmärchen mit frischen, unverbrauchten Gesichtern, wohlhabenden, gebildeten Menschen in wunderschönen Cottages und Landschaften“.
„Megaschön, wenn auch heftig kitschig“, nennt Marie Theres Kroetz Relin den Drehort Newquay in Cornwall, wo sie im Frühsommer vier Wochen lang Teil des Jubiläums-Pilcher-Films, „Das Geheimnis der Blumeninsel“, war: Sonnenaufgänge über dem Atlantik, kreischende Möwen, Blumenstöcke vor dem Eingang eines schmucken Herrenhauses, über die Wiesen hoppeln die Schafe, und gedreht wird unter anderem im Rosengarten von Prinz Charles. „Es ist schon ein Privileg, so zu arbeiten“, sagt die Schauspielerin, die landschaftlich durchaus von ihrer oberbayerischen Wahlheimat verwöhnt ist. Da ist es schon bedauerlich, dass man als Pilcher-Star nach einem Einsatz erst einmal für die nächsten zwei Jahre gesperrt ist – aber nur so bleiben die Gesichter halt unverbraucht. Und so kommen auch nicht nur die immer gleichen zehn deutschen Top-Schauspieler zum Zug. Wenn sich auch niemand um mangelnde Promi-Dichte sorgen muss: Neben Marie Theres Kroetz Relin in einer Hauptrolle ist diesmal noch Monika Baumgartner dabei, die Fernseh-Mutter des „Bergdoktors“. Selbst Peter Ustinov (2003) und Rufus Beck (im Mai) haben ihr Schicksal schon im wilden Wind Cornwalls gefunden, und spätere Stars wie Axel Milberg (1994), Maria Furtwängler (1996) oder Elmar Wepper (1998) haben bei Pilcher frühes Liebesleid durchlebt.

„Bei Pilcher ist die Welt zuverlässig in Ordnung“

Aber das ist ja gerade das Schöne: „Obwohl die Menschen in den Pilcher-Filmen reich und schön sind, haben sie letztlich die gleichen Probleme wie unsereiner. Es gibt Verwicklungen und Intrigen. Aber als Zuschauer weiß man, wenn es droht, schwierig zu werden – dann kommen gleich wieder diese wunderschönen Landschaftsbilder. Bei Pilcher ist die Welt eben zuverlässig in Ordnung“, sagt Maria Fuest, die sich als Mitarbeiterin in der heimischen Bücherei und am Trostberger „Literatur-Stammtisch“ natürlich auch noch mit ganz anderer Lektüre beschäftigt. Doch auch in der Bücherei beobachtet sie, dass die „schöne“ Literatur besonders gefragt ist, vor allem bei Frauen, die schon einiges gesehen und erlebt haben. „Ich habe diese Bücher eher als junges Mädchen gelesen, als ich noch vom ,richtigen‘ Mann geträumt und meinen Platz im Leben noch gesucht habe“, erinnert sich Fuest. „Jetzt habe ich eine Familie, bin oft recht gestresst. Da kann ich entspannen, wenn die Filme Probleme aufgreifen, die viele von uns haben, die sich aber im realen Leben nicht so leicht und schnell lösen.“ Bei Pilcher glaubt und hofft die Liebe eben alles, und sie duldet am Ende auch alles.
„Die romantische Sehnsucht nach dem idealen Liebesobjekt im ambivalenzfreien Raum“: So unromantisch beschreiben Psychologen die Struktur der Pilcher-Filme und aller ihrer Artgenossen. „Die Charaktere in diesen Filmen sind klischeehaft, das heißt ungebrochen. Gut und Böse sind klar verteilt“, sagt Petra Holler, die zusammen mit Günter Völkl ihre Praxis in Passau betreibt. Die beiden Diplom-Psychologen vergleichen die Rollenverteilung in solchen Herz-Schmerz-Geschichten mit den Archetypen von C.G. Jung: Es gibt immer die böse Hexe, die Zicke, den jungen Helden, die unschuldige Prinzessin … „Sie bedienen das Bedürfnis nach Sicherheit, Ordnung und Klarheit auch im moralischen und ethischen Sinn.“ Kein Wunder also, dass die Pilchers, Lindströms, Ffordes gerade in diesen unruhigen und unübersichtlichen Zeiten wieder einmal Hochkonjunktur haben. „In diesen Filmen und Büchern gibt es keine Vieldeutigkeit“, erklären die Psychologen. „Und auch die eigenen aggressiven Anteile haben hier keinen Platz. Sie können auf die entsprechenden klischeehaften Bösewichte projiziert werden.“
Die dann möglicherweise am Ende wiederum gar nicht wirklich so ganz böse sind. So wie auf der Blumenfarm auf den Scilly Islands, wo die jüngste Pilcher-Romanze angesiedelt ist. „Ich spiele eine verbitterte, böse und dann aber auch wieder nicht böse Mutter“, beschreibt Marie Theres Kroetz Relin ihre Rolle, für die der 52-Jährigen noch mal schnell ein paar Jährchen draufgeschminkt wurden. „Die Pilcher-Macher produzieren kein Botox-TV: Da muss Alter auch Alter bleiben, Falten hin, Doppelkinn her“, sagt die Schauspielerin mit einer sympathischen Portion Selbstironie. Knapp 90 Minuten braucht es, bis ihre „Maggie“ und Tochter „Amy“ (Eva-Maria Grein von Friedl, 38) endlich ihre schwierige Beziehung klären. Am Ende erweist sich – natürlich möchte man fast sagen – der geheimnisumwitterte und etwas zwielichtige Nordire Ian (Urs Remond, 54) als Schlüssel zu einem lange gehüteten Familiengeheimnis. „Der Film ist insofern ein etwas untypischer Pilcher, als mit der Figur des Ian die IRA und damit eine politische Facette hereinkommt“, erklärt Kroetz Relin. Aber diese Facette sorgt gerade einmal für so viel Spannung, dass es für ein menschliches Drama reicht. Die ganze Tragödie des Nordirland-Konflikts wäre für einen Herzkino-Sonntagabend in jeder Hinsicht unerträglich.

Briten verfilmten kein einziges Pilcher-Buch

Dass man im wirklichen Leben schon gewaltig über so manche Wendung, Haltung, Vorahnung oder auch „Wunderheilung“ stolpern würde – was soll’s. It’s a Pilcher. Die Liebe glaubt alles, und sie duldet alles.
Dass gerade Großbritannien so oft die Kulisse abgibt für Herzerwärmendes, mag neben der großartigen und „aufgeräumten“ Landschaft auch daran liegen, dass die Inseln ein Königreich sind und noch dazu mit einer reich differenzierten und immer noch sehr lebendigen Klassengesellschaft. „Hier kann man schön unter sich bleiben – außer die Heldin ist ein armes Aschenputtel. Das darf aufsteigen. Andersherum wäre der junge Held natürlich sofort unten durch“, beschreibt Psychologin Petra Holler die Vorzüge.
Ironie der Geschichte: In Großbritannien selbst wurde nie ein Pilcher-Roman verfilmt. Die Rechte an den 30 Büchern, den Kurzgeschichten und Essays der spröden und so gar nicht romantischen „Queen of Romance“ Rosamunde Pilcher (Jahrgang 1924) sicherte sich hingegen komplett das ZDF. Damit dürfte noch Material genug vorliegen für eine ganze Reihe von Folgen „nach Rosamunde Pilcher“, auch wenn die Tochter eines Marineoffiziers und vierfache Mutter 2012 bekannt gab, dass sie das Schreiben aus Altersgründen nun endgültig eingestellt habe.
Während die Engländerin heute zurückgezogen in Schottland lebt, hat sie vor allem Cornwall zu Ruhm verholfen. Busseweise werden Touristen von überall her an den englischen Westzipfel transportiert. Dort lassen sie sich von der rauen Küste, den lieblichen Dörfern und blühenden Wiesen, die ihnen aus zahllosen Pilcher-Filmen längst vertraut sind, verzaubern. Wie sagte der 2016 gestorbene „Traumschiff“-Erfinder Wolfgang Rademann mal in seiner pragmatisch-Berliner Direktheit: „Hauptsache, die Love-Story stimmt und die Landschaft. Da seid ihr Schauspieler ganz unwichtig.“

25 Jahre Rosamunde Pilcher im ZDF: „Das Geheimnis der Blumeninsel“, Sonntag, 9. Dezember, 20.15 Uhr.

Petra Grond