„Szenen keiner Ehe“
Die Schauspielerin und Autorin Marie Theres Relin mit einem bemerkenswerten Buch zu Gast bei Der Vulkan lässt lesen
„Szenen keiner Ehe“ – die Schauspielerin und Autorin Marie Theres Relin (58), Spross einer Schauspieler-Dynastie (Mutter Maria Schell, Onkel Maximilian Schell) und ihr früherer Ehemann, der Dramatiker und Schauspieler Franz Xaver Kroetz (78) gingen ein ungewöhnliches Buchprojekt an: Über ihre gemeinsamen Jahre ein Buch zu schreiben, getrennt, jeder aus seiner Sicht, ohne Einflussnahme des anderen. Vernarbte Wunden beginnen wieder zu jucken, alte Zuneigung erwacht. Sie kämpft mit Rückschlägen als Schauspielerin und hat Existenzsorgen, er plagt sich mit dem Alter und als Dramatiker, schafft es aber, eine grandiose Figur zu entwickeln: Ich. Stark, kurzweilig, beklemmend. Die beiden waren 14 Jahre verheiratet, aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen. Herausgekommen ist ein Spiegel-Bestseller aus dem Marie Theres Relin, im Rahmen der Reihe „Der Vulkan lässt lesen“ am Donnerstag, 2. Mai, im BeratungsCenter der Sparkasse Oberhessen in Lauterbach liest.
Von Andreas Matlé
Frau Relin, wie ist es zu diesem außergewöhnlichen Buch gekommen?
Marie Theres Relin Ich hatte die Idee zu einem gemeinsamen Buch meinem Ex-Mann 2002 schon einmal vorgeschlagen. Das tat er damals ab, nahm es nicht für ernst.
Dann brachten sie die Idee während eines gemeinsamen Aufenthalts auf Teneriffa noch einmal aufs Tablett.
Relin Genau. In meiner gedanklichen Schublade schlummern viele Ideen nebeneinander. Und in diesem Moment zog ich sie wieder hervor. Ich sagte: Lass uns die Zeit nutzen, jeder schreibt für sich. Das gefiel ihm, trotzdem nahm er die Buchidee noch nicht richtig ernst, anerkannte aber meine Ausdauer. Beim Schreiben kann ich so richtig Sitzfleisch haben.
Wie ging es weiter?
Relin Er begann auch zu schreiben und jeder von uns schickte sein Manuskript separat an den Verlag. Für mich war das eine größere Herausforderung als für ihn, ich wusste ja, was ich geschrieben hatte. Als der Verlag mitteilte, dass er das als Buch bringen möchte, erst dann habe ich seinen und er meinen Teil gelesen. Nun ja, ich weiß ja, dass er bisweilen eine sehr raue Sprache haben kann …
Hätten Sie dieses Buch auch nicht getrennt voneinander jeweils zu Hause schreiben können.
Relin Nein, unmöglich. Das ist ein Buch, das man nicht hätte planen können. Dazu bedurfte es dieser Zeit auf Teneriffa, der sich anschließenden Reise und der Gespräche, die wir geführt haben.
Hat sich Ihr Verhältnis mit diesem Buch verändert?
Relin (lacht): Aus seiner Sicht bin ich ein wenig zu ihm aufgestiegen, er erkennt mich jetzt mehr als Schriftstellerin an.
Als das Buch erschienen ist: Welche Reaktionen haben Sie zuerst erfahren?
Relin Das war erstaunlich. Es gab Frauen, die mir mitgeteilt haben: Sie haben mein Leben aufgeschrieben. Es muss also Punkte in diesem Buch geben, die viele Frauen betreffen, bei denen sich in der Ehe ebenfalls so manches aufgestaut hat. Noch heftiger waren die Reaktionen auf die Passagen, in denen ich geschildert habe, wie ich als Kind von meinem Onkel missbraucht wurde, was die Medien natürlich weidlich ausschlachteten. Selbst mein Ex-Mann wusste nichts von dem Missbrauch. Das ist ein Teil des Inhalts, bei dem ich mir erst während dieser gemeinsamen Tage bewusst wurde, dass ich das zu Papier bringen muss.
Ich kann mir vorstellen, die Reaktionen auf diese Passagen noch heftiger waren als auf das Buch an sich.
Relin Genau. Einige haben mir vorgehalten, warum ich darüber nicht schon viel früher geschrieben hätte.
Sie hätten darauf ja tatsächlich in ihrem 2011 erschienenen grandiosen Buch über ihre Familie schreiben können.
Relin Da haben noch einige der Beteiligten gelebt – und das hätte die Familie zerrissen. Wer will das schon? Natürlich fielen jetzt auch solche Vorwürfe wie Nestbeschmutzerin und ob ich denn nicht eine Lolita in Bezug auf meinen Onkel gewesen sei. Was auf die uns auch nicht unbekannte Täter-Opfer-Umkehr hinausläuft.
Dennoch stehen sie weiter dazu, über diese Thematik zu sprechen.
Relin Absolut. Weil ich nämlich auch zu diesem Thema sehr viele ermutigende Kommentare erfahren habe – von Betroffenen. Auch hoffe ich, es war eine Art Befreiung für meine Cousine, die dadurch auch über den Missbrauch durch ihren Vater erstmals sprechen konnte. Über Missbrauch in der Familie zu sprechen, ist immer noch ein Tabuthema. Und es ist mir wichtig, dieses Tabu aufzubrechen. In jedem Klassenzimmer sitzen zwei Kinder, die Missbrauch erlebt haben, die Dunkelziffer ist hoch. Ich möchte die Menschen sensibilisieren, denn oft sind es kleine Gesten, die vermuten lassen, dass etwas im Argen liegt.
Werden Sie darüber auch bei der Lesung sprechen?
Relin Ich werde es nur erwähnen, denn es soll ein lustiger Abend werden. Ich werde eine Kurzgeschichte von Franz Xaver Kroetz vorlesen und dann unterhaltsame Passagen aus unserem gemeinsamen Buch. „Der Vulkan lässt lesen“ – allein der Titel erfreut mein Herz, da ich ja auf einer Insel mit Vulkan lebe.
Vorverkauf
Karten kosten 14, ermäßigt 11 Euro. Es gibt sie ab sofort bei der OVAG (06031 6848-1274), bei der Sparkasse Oberhessen, BeratungsCenter Lauterbach (06031 86-3351), in der Buchhandlung Lesezeichen in Lauterbach, im „Lesenswert“ Buchladen am Rathaus in Alsfeld sowie im Internet unter www.adticket.de.