Franz Xaver Kroetz, Marie Theres Relin
© Karin Rocholl
Auch als eBook auf Hugendubel.de erhältlich
Inzwischen sind Sie länger geschieden, als Sie verheiratet waren. Was verbindet Sie bis heute?
FXK: Die drei Kinder.
MTR: Drei Kinder, Freundschaft und ein Buch.
Als Ehepaar getrennt, als Familie vereint: Das würden sich viele Geschiedene wünschen. Wie gelingt es Ihnen beiden?
FXK: Hauptsächlich über die Kinder, die halten und hielten uns immer fest.
MTR: siehe oben.
Im Münchner Kino „Museum Lichtspiele“ hatten Sie im Sommer 2022 einen gemeinsamen Auftritt unter dem verheißungsvollen Motto „Kroetz liest Kroetz“ – und offenbar viel Vergnügen dabei. Ein Schlüsselerlebnis? Vielleicht sogar ein Paar-Comeback, wie damals eine Zeitung geschrieben hat?
FXK: Eine Lesung, die Spaß gemacht hat, sonst nichts.
MTR: Schlüsselerlebnis Augenhöhe.
„Es ist kein GEMEINSAMES BUCH.“
Wie wurde die Idee zu Ihrem gemeinsamen Buch geboren?
MTR: Mein Vorschlag war’s. Und er nahm’s an.
FXK: Es ist kein gemeinsames Buch. Die Texte stehen für sich. Ich schreibe seit 60 Jahren, meistens täglich. Es ist für mich wie essen und scheißen. Und es war logisch, dass ich auch auf der Reise schreiben werde. Und dass die Ex auch geschrieben hat, ist doch toll, aber ausschließlich ihre Sache.
Ihr Buchtitel „Szenen keiner Ehe“ weckt Assoziationen zu Ingmar Bergmans Filmdrama „Szenen einer Ehe“. Was ging Ihnen selbst durch den Kopf?
FXK: Es ist der Titel der Ex. Was ihr durch den Kopf ging, muss sie selber sagen. Aber ich find den Titel richtig und gut.
MTR: Der kleine Buchstabe „k“.
Was ist Ihnen generell bei Ihren Gemeinschaftsprojekten – ob Bühne oder Buch – wichtig? Was ist das oberste Gebot?
MTR: Augenhöhe.
FXK: Authentisch sein und nicht langweilen.
„VON HEITER bis mulmig.“
Mit welchen Gefühlen haben Sie sich auf dieses Vorhaben eingelassen?
FXK: Hoffentlich krieg ich meinen alten Benz heil nach München.
MTR: Von heiter bis mulmig.
Welche Vereinbarungen und wichtigsten Regeln hatten Sie für Ihr Buchprojekt?
MTR: Jeder schreibt täglich eine Seite. Wir kennen und beeinflussen nicht den Text des andern. Das Manuskript geht separat an den Verlag.
FXK: Keine. Doch: Jeder schreibt für sich und was er will.
Zu schreiben begonnen haben Sie Mitte Oktober 2022 auf Teneriffa im Haus am Meer. Warum ausgerechnet hier?
FXK: Weil das mal unser gemeinsames ZU-Hause war, in dem wir mehr als 10 Jahre gelebt haben, bis die Ex mich rausgeschmissen hat und sich scheiden ließ.
MTR: Zuhause.
Ihnen war von Anfang an bewusst, dass Sie einander und sich selbst ziemlich ausgeliefert sein würden. Was hat Sie dennoch zu diesem Wagnis ermutigt und es Ihnen wichtig gemacht?
MTR: Das zu schreiben, was man sonst nur voneinander denkt.
FXK: Ich wollte mit Magdalena oder Ferdi den alten Benz holen, aber die sind Lehrer und hatten zu wenig Zeit. Da hat sich Frau Relin angeboten, die Reise mit mir zu machen. Fand ich nicht so prickelnd, erst mal. Bin aber jetzt sehr froh. Ohne sie hätts nicht geklappt.
Würden Sie es ein Aufarbeitungs-Buch nennen wollen oder hatten Sie einen anderen Antrieb oder Fokus?
FXK: Ich wollte meinen alten, wunderbaren Benz heimholen. Sonst nichts.
MTR: Nein. Außer „Lebenstraum“ erfüllen.
„Ich fuhr und SIE SAGTE WOHIN.“
Wie haben Sie Ihre Rollen- und Aufgabenverteilung erlebt?
MTR: Im Bezug auf?
FXK: Ich fuhr und sie sagte wohin.
Was hat Sie auf Ihrer gemeinsamen Reise am meisten beschäftigt oder umgetrieben?
FXK: Ob das Auto jeden Morgen anspringt und die mehr als 3.000 km durchhält.
MTR: Sein Auto und mein Schnarchen.
Welche Schreibhaltung hat sich für Sie richtig angefühlt? Autofiktional und gefeilt oder spontan und lebensecht?
MTR: Authentisch. Aber auch hier: Schreiben bedeutet Arbeit.
FXK: Ich denke nicht über Haltungen nach, wenn ich schreibe. Ich schreibe, wenn ich „Hunger“ hab, und was im Kühlschrank bzw. in der Schreibmaschine ist und freu mich über einen gelungenen Schiss im Klo/auf dem Papier. Professionell gesprochen: Autofiktion.
Haben Sie sich manchmal einen Notausgang gewünscht und an Abbruch gedacht? Wenn ja: Was hat Sie davon abgehalten?
FXK: Dass der Benz nicht nach München kommt, und dass Reisen besser ist, als in München vor sich hinvegetieren.
MTR: Ja. Ein Auto in der Werkstatt.
„ICH BIN AUCH MORGEN nicht mehr die von heute.“
Sie kennen einander seit 1987 – einschließlich Schwächen. Wird das Miteinander dadurch leichter oder schwieriger?
MTR: Anders. Ich bin auch morgen nicht mehr die von heute.
FXK: Es wird leichter, weil einem der andere ja viel gleichgültiger ist als früher.
Für welche Fouls – ob verbal oder Verhalten – hätten Sie einander gern die gelbe oder rote Karte gezeigt?
FXK: Dass sie so grauenhaft schnarcht. Wundert mich immer noch, dass ich sie nicht erwürgt hab.
MTR: Klobrille.
Was haben Sie als größte Herausforderung empfunden?
MTR: Mein Manuskript abzusenden.
FXK: Dass ich wirklich jeden Tag irgendwas geschrieben hab, denn die Reise war anstrengend und ich bin 77 und NICHT sehr gesund.
Wofür bewundern oder schätzen Sie einander?
FXK: Ich bewundere sie nicht, aber ich schätze die ungeheure Energie, die in ihr steckt.
MTR: Für unsere drei Kinder. Gut gemacht.
„Sie hat mich DA RAUSGERISSEN!!!!“
In welchem Augenblick wären Sie einander am liebsten um den Hals gefallen?
MTR: Als die sich festgetretene Kupplung mitten in der Pampa auf 2000 Metern Höhe doch wieder löste.
FXK: Eigentlich ganz am Anfang, als sie mich „gezwungen“ hat, die Reise zu machen, die Tickets gekauft hat und wir im Flieger saßen. Ich neige nicht nur zu Depressionen, ich hab da eine kolossale Schieflage und 2022 war diesbezüglich ein sehr schlechtes Jahr. Sie hat mich da rausgerissen!!!! Danke, mein Schatz!
Welche Schreibeinblicke haben Sie einander gewährt und worüber am intensivsten diskutiert?
FXK: Keine gewährt und nichts diskutiert.
MTR: Gar keine.
Wie erging es Ihnen beim ersten gegenseitigen Lesen? Was war Ihr spontaner Eindruck?
MTR: Es funktioniert!
FXK: Die Alte kann noch immer kotzen, wenn sie mich nur sieht.
„ALLES IST MÖGLICH, WENN MAN sich gegenseitig respektiert.“
Was ist die Hauptsache, die Ihnen durch Ihr Buchprojekt bewusst wurde?
FXK: Dass es gut war, den Benz heimzuholen, ich freu mich jeden Tag, dass er vor der Tür steht.
MTR: Alles ist möglich, wenn man sich gegenseitig respektiert.
Franz Xaver Kroetz hat Sternschnuppenmomente festgehalten. Was war am allerschönsten und bewegendsten?
MTR: Als Franz den alten Mercedes das erste Mal fuhr und sagte: „Ich bin glücklich wie ein Kind.“
FXK: Dass die Kinder sich gefreut haben – bild ich mir ein – weil wir wieder da sind.
Lieber Franz Xaver Kroetz: Was macht die Bibliothek im Haus am Meer auf Teneriffa für Sie zum besonderen Ort? Was schätzen Sie an der Atmosphäre und was am Bestand an Büchern? Welche Autoren und Bücher entdecken Sie gerade neu für sich?
MTR: Sehr schade. Und ausgerechnet diese Frage hätte ich so gerne beantwortet.
FXK: Dass ich dort mehr als 10 Jahre geschrieben und gelebt hab, mit Frau und drei Kindern und zwei Hunden und 5 Nymphensittichen. Lese grade „Krieg und Frieden“, bin auf Seite 423 von mehr als 1500 Seiten. Ob ich da ganz durchkomm, weiß ich nicht. Dazwischen hab ich grad gelesen: „Wie der Westen den Krieg in die Ukraine brachte“ von Benjamin Abelow, ein kurzes, gutes Buch gegen die russophobe Kakophonie des Westens.
Liebe Marie Theres Relin: Sie selbst engagieren sich auf vielfältige Weise für Frauen. Welches Projekt liegt Ihnen im Moment besonders am Herzen?
MTR: Mein Inklusions-Projekt „Kino Frauen aller Kulturen“ – mittlerweile in 4 Städten.
Wie lautet Ihre persönliche Bilanz zum Miteinander und zu Ihrem Buchprojekt?
FXK: Reisen bringt zusammen, ich mag sie jetzt lieber. Und: Ich glaub, ich hab einen rotzfrechen Text geschrieben, der ein Schlag in die Magengrube des guten Geschmacks ist. Eine reife Leistung für einen 77-Jährigen! Gefällt mir, bin wieder ein bisschen der, der ich leider nicht mehr bin, will sagen: Das Alter ist ein Massaker. (Philip Roth)
MTR: Top. Und ich bin zur Kollegin mutiert.