Alle Bilder (c) Detlev Schneider;
Deutsches Filmmuseum Frankfurt- Ein Brief an Dich- Liebe Mami....
Liebe Mami,

weißt Du schon, dass für Dich im Deutschen Filmmuseum eine große Ausstellung organisiert wird? Mit allem drum und dran, sogar Deine Drehbücher werden katalogisiert! Und ich soll einen Text für diesen Katalog schreiben!
Also sitze ich vor diesem weißen Blatt und denke an Dich... Mir fällt zwar viel von Dir und über Dich ein, aber ich bring es nicht aufs Papier! Deshalb schreibe ich Dir diesen Brief.

Manchmal versuche ich mir vorzustellen, wo Du nun angekommen bist, da oben im Himmel oder unten, unter der Erde. Dann komme ich ins Grübeln und stelle fest, dass Du mir schrecklich fehlst - und dann bist Du mir plötzlich ganz nahe, so als ob Du direkt hinter mir stehen würdest...
Papi feiert am 24.9.2006 seinen achtzigsten Geburtstag und ich werde bei ihm sein. Kannst Du Dir unseren ergrauten „Don Juan“ vorstellen? Er schaut noch immer gut aus und werkelt fleißig weiter. Apropos Achtzigsten: Deinen runden Geburtstag haben die Medien einfach vergessen. So eine Schweinerei! Über jeden runden Promi-Geburtstag wird in den Medien lang und breit berichtet- nur bei Deinem nicht. Weißt Du warum? Weil Du zu den „Toten des Jahres 2005“ gehörst, da war Dein Geburtstag kurz darauf eben zu viel. Macht nix, ich habe dafür mit meinem Bruder, Oliver, ein Interview zu dieser Ausstellung geführt und auch veröffentlicht. Und damit lassen wir die Erinnerung an Dich wieder kräftig aufleben, da bin ich sicher! Was wollt ich Dir bloß alles erzählen? Oh ja, weißt Du schon, dass ich Bestseller-Autorin geworden bin? Von der kleinen Hausfrau bis zur... Hurra, ich kann es nicht fassen! Man hört nichts mehr von meinen „Adelstiteln“ - „Tochter von“, „Frau von“, „Nichte von“... Mami, ich bin erwachsen geworden und habe mir doch glatt meinen eigenen Namen erschrieben. Derzeit lerne ich gerade mein Manuskript für die Lesereise und ich arbeite - wie immer- nach Deiner Methode: Fünfzig Mal wird das Ding gelesen, wohlgemerkt GELESEN, oben am Eck der Seiten bei jedem Lesen immer schön ein Strich gemacht (so wie ein Knastbruder, der eine Strichliste führt, bis ihn der ersehnte Tag in die Freiheit entlässt), dazu viele Gedanken am Rande notiert. Ich kann mich gut erinnern, wie ich als Kind immer unter Deine Bettdecke gekrochen bin: es roch nach Arbeit und Kaffee - Manuskripte und Papierkram lagen um Dich rum und Du warst am Lesen und schreiben. Ich habe Dich dabei immer gern beobachtet, denn in Deinem Gesicht spiegelten sich bereits die ersten Züge der neu erlernten Rolle. Das war immer sehr geheimnisvoll für mich. Da fällt mir ein: weißt Du wo ich meinen 40. Geburtstag gefeiert habe? In Paris! Mit meinen drei Kindern zurück in meine Vergangenheit, in meine Jugend. Und ich habe Deinen Enkelkindern das Paris gezeigt, das Du mich hast entdecken lassen: In den engen Gassen von Les Halles hab ich ihnen erzählt, wie Du einen schweren Wäschekorb durch die Strassen geschleppt hast, um das Gefühl für „Gervaise“ zu entwickeln. Tja, Du warst eben eine echte Stanislavski- Schauspielerin! Und auf dem Friedhof Montmartre war ich auch. Kannst Du Dich erinnern, wie Du mich dort hinschicktest mit den Worten „Dort liegen lauter berühmte Menschen, von Heinrich Heine über Alexandre Dumas und seiner „echten“ Kameliendame bis hin zu Francois Truffaut. Du wirst sehen, es ist ein ausgezeichneter Ort zum Text lernen.“ Es stimmte! Im Alter von 16 Jahren, als ich in Paris die Schauspielschule absolvierte, schlenderte ich durch diesen romantischen Friedhof und spielte den Gräbern laut die klassischen Rollen vor. Die stille Anwesenheit der vertrauten Berühmtheiten brachte mich der poetischen Sprache näher und die Vergangenheit wurde meine darstellerische Zukunft. Schade, das alte Schauspiel-Handwerk, so wie Du es praktiziertest, geht nach und nach verloren. Für  René Clements „Gervaise“ hast Du Dich monatelang in eine Französin verwandelt und für Viscontis „Weiße Nächte“ hast Du nebenbei mal italienisch gelernt. Aber leider regiert heute das Mittelmaß in Film und Fernsehen. Du hättest Dich nie mit Mittelmaß abgegeben, außergewöhnlich musste es sein! Im Grunde hast Du ganz viele Leben gelebt, denn jede Rolle war ein Teil von Dir- und geliebt, selbst Deine Filmpartner hast Du fern der Leinwand in Dein Leben mit übernommen. Meine Gedanken springen so lustig: Du konntest wirklich auf Knopfdruck Tränen fließen lassen. Kannst Du Dich erinnern, wie Du mit Klaus Maria Brandauer immer um die Wette geheult hast? Das war für mich als Kind immer ein beeindruckendes Schauspiel! Du und Deine Darstellungskraft hab ich am eigenen Leib erlebt: nie werde ich die Ohrfeige vergessen, die Du mir in unserem gemeinsamen Film „Das letzte Wort“ verpasst hast. Patsch- mir blieb der Atem weg! Ich hatte vor laufender Kamera nicht mit so einem kräftigen Schlag gerechnet, da Du mich im echten Leben, als Mutter, nie geschlagen hattest. Mein Erstaunen wurde mit einer Klappe festgehalten und die Szene war richtig gut.
Gestern hab ich mich mit einer 23-Jährigen unterhalten, die mir etwas entschuldigend entgegenbrachte „Deine Mutter muss sehr berühmt gewesen sein, aber ich kenn´ sie trotzdem nicht.“ Da wurde mir bewusst, wie viele Generationen zwischen ihr, Dir und mir liegen. Aber jeder hat heute noch Dich Möglichkeit, Dich und Dein Lebenswerk kennen zu lernen. Drum freue ich mich, dass Dir diese Ausstellung gewidmet wurde und Du weiterhin in unseren Köpfen lebendig bleibst.
So, Mami, ich muss weitermachen, das Leben ruft- Deine drei Enkelkinder. Ich hab Dich lieb und wünsch´ Dir was- da drüben oder wo auch immer Du grade bist.

Deine

Marie Theres



 © M.Th. Kroetz Relin 14.09.06 - erschienen Henschel Verlag

 

 
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