Alle Bilder (c) Detlev Schneider;
ZEITmagazin: Franz Xaver Kroetz "Sie wollte mich und das Baby"
Franz Xaver Kroetz, Schriftsteller, Regisseur und Schauspieler, über seine Exfrau und wie sie seine Leberwerte verbesserte.

ZEITmagazin: Herr Kroetz, Sie sagten mal, Sie seien ein Mensch ohne Schranken. Wie meinten Sie das?
Anzeige

Franz Xaver Kroetz: Ein Künstler, der Grenzen anerkennt, kann kein leidenschaftlicher Künstler sein. Kamikaze, Mord, Selbstmord – das gehört alles zum Beruf eines Dramatikers.

ZEITmagazin: Hatten Sie schon mal Selbstmordgedanken?

Kroetz: Sehr oft. Vielleicht wäre ich schon tot, wenn ich nicht mit dem Schreiben ein Ventil gehabt hätte. Mit zwölf habe ich damit begonnen. Das war ein Segen für mich. Beim Schreiben habe ich alles losgekriegt. Was mir privat nicht geglückt ist, habe ich in den Stücken abgeladen. ZEITmagazin: Schreiben war zugleich Kamikaze?

Kroetz: Schreiben ist Qual, Selbstzerstörung, Vernichtung. Vermutlich wäre ich im Irrenhaus oder in der Trinkerheilanstalt, wenn ich nicht damit aufgehört hätte. Dramatiker werden meistens nicht sehr alt. Walser, Grass, Lenz – die werden uralt. Denn Prosa ist Labern. Und Labern geht im Leerlauf. Aber beim Drama-Schreiben musst du im Stand Vollgas fahren. Das macht das Auto und den Menschen kaputt.


ZEITmagazin: Trotzdem sind Sie nicht kaputtgegangen.

Kroetz: Weil ich einen ganz starken Lebenswillen habe. Ich war von Anfang an angepfahlt. Meine Mutter stammte aus Tirol, da waren alle Bauern. Meine Großeltern väterlicherseits waren Schmiede in Niederbayern. Da hat’s keine Künstler gegeben. Ich bin nicht als Spinner geboren, sondern habe eine gesunde Grundausstattung mitbekommen. Ich bin sozusagen gesund bis an den Abgrund gegangen.

ZEITmagazin: In welche Abgründe haben Sie gesehen?


Kroetz: Als ich mit 17 bei der Schauspielschule rausgeschmissen wurde, hatte ich keine Zukunft und musste mich als Bau- und Hilfsarbeiter durchschlagen. Nach dem Tod meines Vaters hat meine Mutter das Haus vermietet, weil wir Schulden hatten. Ich musste im Keller schlafen, ohne Heizung. Dort unten habe ich dann geschrieben. Es war eine sehr, sehr harte Zeit, bis ich 25 war. Da hätte ich gerne die Welt ausgerottet, weil sie mich nicht anerkannt hat.

ZEITmagazin: Manche Schriftsteller begeben sich extra in Abgründe, um Stoff fürs Schreiben zu finden.
Kroetz: Mir hat das Leben glücklicherweise so viel Scheiße hingeschaufelt, dass ich nicht reinspringen musste. Die Katastrophen sind alle von selber gekommen.

ZEITmagazin: Welche zum Beispiel?

Kroetz: Es gab dauernd Katastrophen. Das war ein durchwachsenes, schreckliches Leben. Ich habe mein Leben lang gesoffen. Und es gab Verzweiflungen, wenn ich nicht schreiben konnte. Einmal habe ich deshalb in meiner Wut eine Küche zerlegt, bis keine Tasse mehr heil war. Das sind Explosionen gewesen. Aber ich hatte irgendeinen Schutzengel und habe nie einen Menschen erschlagen. Anders ist es erst geworden, als ich die Marie-Theres kennenlernte. Bis dahin war ich ein widerliches Kerlchen. Ich bin über Leichen gegangen, habe die Frauen schlecht behandelt. Mich hat nichts interessiert außer Schreiben.

ZEITmagazin: Und Marie-Theres Relin hat Sie gerettet?

Kroetz: Ich hatte damals schon zwei Kinder mit zwei anderen Frauen. Aber dann habe ich mich unendlich in sie verliebt, und sie ist schwanger geworden. Ich habe sie von der Klinik abgeholt, und Frau und Kind sind von diesem Augenblick an bei mir gewesen. 15 Jahre bis zur Scheidung. Sie war eine junge, gefragte, schöne Schauspielerin – aber sie ist zu mir gezogen, wollte mich und das Baby haben und hat gekocht, gemacht, getan. Das war eine Lebensrettung für mich.

ZEITmagazin: Die Liebe war Ihre Rettung?

Kroetz: Die Liebe zu ihr und zu meinem Kind. Und dann kam noch das zweite Kind, und wir haben geheiratet. So eine Liebe bedeutet Fröhlichkeit, Stetigkeit, Harmonie. Das hat mir sehr gutgetan. Ich brauchte keine Katastrophen mehr zu erzeugen. Ich war glücklich. Wir haben uns zehn Jahre lang keinen Tag getrennt. Die Liebe hat mir geholfen, ich habe heute blendende Leberwerte.

ZEITmagazin: Was hilft Ihnen seit der Trennung gegen den Alkohol?

Kroetz: Schreiben und Trinken hängen zusammen. Seit ich zu schreiben aufgehört habe, trinke ich viel weniger. Auch Yoga hilft. Wenn du am Morgen Yoga machst, brauchst du den Tag über nichts mehr zu trinken.

ZEITmagazin: Versuchen Sie manchmal doch wieder zu schreiben?

Kroetz: Schreiben ist ein Lebensnerv, eine ungeheure Erotik. Du fühlst dich unheimlich stark. Das fehlt mir. Ich habe immer wieder versucht zu schreiben, aber da kommt nichts. Ich glaube nicht, dass ich einen writer’s block habe. Das liegt tiefer. Da ist irgendwie eine Goldader zu Ende. Es ist nichts mehr da, es ist vorbei. Das macht mich traurig.

Das Gespräch führte Herlinde Koelbl



Franz Xaver Kroetz

64, ist Schriftsteller, Theaterautor, Regisseur und Schauspieler. Bevor er das Schreiben aufgab, war er für seine Produktivität ebenso bekannt wie für seine Exzesse und Wutausbrüche. Kroetz hat allein 65 Theaterstücke geschrieben

Herlinde Koelbl

gehört neben dem Coach Louis Lewitan und dem ZEIT-Redakteur Ijoma Mangold zu den Interviewern unserer Gesprächsreihe »Das war meine Rettung«. Die renommierte Fotografin wurde in Deutschland auch durch ihre Interviews berühmt

© Herlinde Koelbl - Zeitmagazin erschienen am 22.04.2010 Nr. 17
 
< Zurück   Weiter >
2017 Marie Theres Kroetz Relin
WEB-Design - Martin Wagner - PHP,MYSQL,Joomla