Alle Bilder (c) Detlev Schneider;
Muttern und die geschlagene Stunde
Muttern streifte fein säuberlich ihre Ringe ab und legte sie auf den Küchentisch. Sie war so weit. Ihr Blick macht noch mal eine Runde. Dann ging sie über den Dorfplatz, weiter über den Friedhof zum Glockenturm. Sie öffnete die alte Tür und stieg die Turmtreppen ganz langsam empor. „Nie hab ich mich getraut das zu tun was ich wirklich will,“ dachte Muttern, „ Nie! Nicht mal den Mut die Haare kurz zu schneiden, geschweige denn zu färben!“
Muttern schnaufte, ihr Herz ging schnell. Sie schleppte sich die Treppe hinauf. „ Warum? Weil ich es immer den andern recht machen will, nie mir. Weil mir der Mut fehlt.“ Muttern’s Schritt von Stufe zu Stufe war genauso behäbig wie ihre  Gedanken. „ Aber heute hab ich ihn. Egal was kommt!“ ging es ihr durch den Kopf und sie wusste dass oben bei der Glocke ihr Fenster zur Welt wartete.
Oben angekommen, versuchte sie Atem zu holen. Ihr Herz raste. Sie schaute auf ihr Haus, dann in den Himmel. Sie hatte keine Angst. Sie war ruhig. Muttern’s Herz bekam erst einen Stich, als sie ihr Kind sah. Es streichelte eine Katze. Die Kinderaugen fingen an zu suchen. „Mama?“ ertönte es leise, „Mama?!“ kam es lauter. Verwirrung in Muttern und dem Kind. „Huhu, ich bin hier oben!“ rief sie und eine Träne rannte über ihr Gesicht, „Wollte mir bloß die neue Glocke ansehen. Ich komm gleich runter!“ Muttern warf einen letzten Blick aus dem Fenster und drehte um. Ihre Stunde hat noch nicht geschlagen. „Morgen geh ich zum Friseur!“, schwor sie sich und ging langsam die Turmtreppe runter.


© Marie Theres Kroetz Relin 2003- nicht erschienen in "Die Aktuelle" 
 
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