Alle Bilder (c) Detlev Schneider;
BILD AM SONNTAG: Liebste Mama, Sonne meines Herzens ...

Ich sitze an meinem Manuskript über meine berühmte Familie und quäle mich: Ich soll umschreiben. Gedanken laufen wie Ameisen durch mein Hirn. Seit Tagen geht mir meine Mutter nicht aus dem Kopf. Am 26. April vor vier Jahren ist sie gestorben. Ich vermisse sie einfach. Shit. Morgen ist Muttertag. Was hab ich immer geschimpft über diesen von der Blumen- und Pralinenindustrie gesponserten Tag, besonders, wenn auch ich meine Alibi-Blümchen verschickt habe. Aber seitdem ich am Grab meiner Mutter stand, ist mir klar, dass ich die nächste Mutter bin, die stirbt. Und die nächsten Tränen werden die Tränen meiner Kinder sein. Alles hat eine andere Bedeutung bekommen.

Was habe ich eigentlich von meiner Mutter? Das Familiengedächtnis wird ja von Generation zu Generation weitergetragen, man übernimmt Strickmuster, Lebensweisen, Gewohnheiten … Ich will der Frage auf den Grund gehen und fange äußerlich an: Die Augen habe ich von ihr, obwohl sie grüne hatte und farbenblind war. Meine sind blau und ich sehe glasklar. Die Stimme, gepaart mit dem Sprachtalent. Schon mein Vater hat sich geärgert, wenn Geheimnisse in Französisch über den Tisch wanderten und ihm alles Spanisch vorkam. Die Schmolllippen sind von Daddy, aber die freche Schnauze, ganz die Mama.
Sie war ein unglückliches Pummelchen, ständig auf Diät. Ich, schlank und rank, kann essen, was ich will. Gutes Essen liebten wir beide, aber kochen konnte sie gar nicht, das habe ich von meiner Großmutter gelernt. Meine Mutter war ein Weltstar und ich habe ihre Attitüde übernommen. Ich bin zwar keiner, aber meine Haltung den „Bedeutenden“ dieser Welt gegenüber ist dieselbe: alle nur Menschen! Sie war ein Tiger, es gab nichts, was sich ihr in den Weg stellen konnte, wenn sie ein Ziel hatte. So auch ich. Sie war das Gritli von der Alm, hatte Herzensbildung und mochte alle Menschen. In der Liebe war sie allerdings mehr als blöd, sie vergötterte ihren Macho und gab sich dabei auf. Leider bin ich auch nicht besser, aber meine Töchter haben das besser im Griff.
Sie hatte Charme und konnte Menschen binnen Minuten in ihren Bann ziehen. Weiblich, erotisch, primitiv, geheimnisvoll. Absolut meine Mischung. Und sie war laut! Ihr Lachen im Publikum ließ mich auf der Bühne zusammenzucken. Peinlich! Nein, so wollte ich nicht sein, bin es aber trotzdem, wenn ich ein penetrantes „Bravo“ zu meiner Tochter auf die Bühne schleudere. Sie war extrem humorvoll, konnte aber selten über sich selbst lachen. Kommt mir bekannt vor. Ihr Motto: „Nicht sparen, verdienen!“ Gott sei Dank ist das nicht meins, es lebt sich andersrum leichter. Sie konnte verbal sehr verletzend sein. Ich denke, auch das habe ich im Griff. Sie war die beste Mama der Welt – wenn sie da war! Eine Karrierefrau eben. Da komme ich eher nach meiner Oma. Von ihr habe ich gelernt, wie man einen Dichter „fachgerecht“ behandelt und verehrt, mehrere Kinder gebiert, die Karriere aufgibt und zur liebenden Mutter mutiert.
Ich habe es nicht bereut, wollte geben und das sein, was ich als Kind vermisste: die Mama. Ihr Talent war atemberaubend, sie konnte mit Kollegen um die Wette heulen. Das kann ich zwar auch auf Stichwort, aber meiner Tochter Magdalena spielt alle an die Wand – ganz nebenbei, wie ihre Oma. Da wurde wohl eine Generation übersprungen.
Sie war fantasievoll und konnte stundenlang Geschichten erzählen. Auch das habe ich übernommen.
Ihr Parfüm liegt mir noch heute in der Nase. Es bedeutete Abschied und Wiedervereinigung in einem und manchmal wünsche ich, sie würde mich wieder im Schlaf küssen und sagen: „Ich bin da.“
Sie war auch meine Freundin, war da, wenn ich sie brauchte. Selbst bei der Geburt meiner Tochter Josephine, als mein Gatte mich im Stich ließ, spürte ich in der Geburtsstunde ihre warme Hand. Sie war mein Alles, auch wenn’s nicht immer leicht war. Lange Jahre habe ich mich mit dem Titel „Tochter von“ gequält, aber heute hab ich’s kapiert: Es gibt nicht Schöneres, als stolz auf seine Wurzeln sein zu können! Und Fehler zu verzeihen, denn Mütter sind auch nur Menschen.

Herrgott, wie die Zeit vergeht! Der Blick auf die Uhr reißt mich aus meinen Gedanken. „Sag mal, Ferdinand, es gleich Mitternacht und du bist immer noch nicht im Bett!“ Mein Sohn schaut mich mit seinen blauen Augen an und bleibt wie angewurzelt stehen. „Marsch!“, schimpfe ich. Klein-Amor guckt und sagt in göttlicher Ruhe: „Moment, bitte!“ Der Sekundenzeiger turnt der Zwölf entgegen. Ich will ansetzen zur großen Standpauke, da nimmt mich der junge Mann in die Arme und haucht mir zärtlich ins Ohr: „Alles Gute zum Muttertag“, drückt mir einen Kuss auf die Wangen, und ich ... ja, ich schmelze wie ein Eis im Sommerwind.
Gerührt und schmunzelnd über die Verzögerungsstrategie meines pubertierenden Sohnes stolpere ich ins Bett. Mein Kopfkissen knistert und sich suche im Dunkeln den Störfaktor. Ein Zettel? Ich taste nach der Lampe und lese: „Ich hab Dich lieb, bist die beste Mama der Welt. Bussis Lena.“ Ach, das ist zu viel für mein Mutterherz. War ich eben noch das geschmolzene Eis, bin ich nun eine Pfütze der Rührung. Ich lege mich hin, schließe die Augen, als mein Handy eine SMS meldet: „Liebste Mama, Sonne meines Herzens! Ich kann verstehen, dass Dich dieser Feiertag nicht sonderlich berührt, aber ganz ohne Blumen für Dich geht es auch dieses Jahr nicht. Als meine persönliche Göttin des Lebens und des Schicksals hast Du ihn Dir redlich verdient! Bussi, Josephine!“ Madre mia, von wegen: nicht berührt! Ich bin aufgelöst! Und wer putzt mich nun auf?



 © M.Th. Kroetz Relin - erschienen in BILD AM SONNTAG am 10.05.2009



 
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