Alle Bilder (c) Detlev Schneider;
Ich vermisse Dich, Papi!

Wir vermissen Dich!

 
 
Veit Relin und Familie
 

Veit Relin

24.09.1926 - 23.01.2013 

 

Da mir die Worte fehlen, erlaube ich mir, anlässlich des Todes meines Vaters, mein letztes Interview mit ihm hier zu veröfftenlichen.

Es ist erschienen, zusammen mit vielen anderen Geschichten von und über meinen Vater,  in meinem Buch "Meine Schells - Eine Familie gesucht und mich gefunden" :

 

6 Tage - Reise ins Ich

 

Ist schon merkwürdig, denke ich, während ich über Würzburg nach Sommerhausen fahre. Würzburg hatte für mich bis dato keine Bedeutung, jetzt ist die Luft hier Herman-Schell-geschwängert. Ich erreiche das Torturmtheater und das Haus meines Vaters, besser den Turm, in welchem er lebt. Ich liebe seine künstlerische Atmosphäre, das ordentliche Chaos, die vielen Farben und Bilder. Es ist schön ihn zu sehen. Mit 84 Jahren leitet er nach wie vor sein Theater, führt Regie, spielt von Zeit zu Zeit und malt. Unglaublich. Rentner gibt’s in unserer Familie keine.

 

Wie hast du deinen Schwiegervater erlebt?

 

Er war merkwürdig. Er ist immer mit einem Notizbuch und Bleistift rumgerannt. Ich hab Ende der den 60ziger Jahre ein Stück von ihm im Ateliertheater aufgeführt. Ich glaub, es war „Das Naturtalent“. Das hab ich natürlich radikal bearbeitet, sonst wär’s gar nicht aufführbar gewesen. Die Presse hat uns aber trotzdem furchtbar verrissen – vor allem ihn – und von da an hat er sich von mir abgewandt. Einer Kritikerin hatte er sogar geschrieben, dass ich das Stück verhunzt hätte mit meiner Bearbeitung und hat ihr sein Original geschickt. Jahre später sagte diese Kritikerin zu mir: „Es tut mir so leid, dass ich ihren Schwiegervater so verrissen habe. Aber welch ein Glück, Herr Relin, dass sie es so verändert haben.“

 

Bist Du ihm öfters begegnet?

 

Nein, ich hab ihn nur zweimal gesehen. Einmal vor der Hochzeit, einmal danach und dann zur Beerdigung. Ich stand halt mittendrin im Dilemma.

 

Und wie wirkte Hildegard auf dich?

 

Sie war eher ein Luder. Aber die beiden waren eine Einheit. Mit deinem Onkel Carl hab ich im Züricher Schauspielhaus „Donna Diana“ unter Leonhard Steckel, ich glaub, 1949 war es, gespielt. Carl hat immer furchtbar angegeben – schrecklich.

Da fällt mir René, dein Cousin und sein Sohn, ein. In irgendeinem Sommer haben die Kinder was angestellt. Ich rief Oliver, René, Pia und Mischi zu mir. „Sagt mir, was ich jetzt mit euch machen soll?“ Jedes Kind dachte sich eine Strafe aus, nur René sagte: „Töten, alle töten.“

 

René war schon ein eigenwilliges Kind. Zurück zu dir, ich muss ja das familiäre Künstlerblut erforschen. Welcher deiner vielen Berufe steht in deinem Leben im Vordergrund? Maler, Schauspieler, Regisseur, Theatermann...?

 

Du fragst mich nach der Priorität in der Skala meiner Berufe? Ich muss zugeben, dass es dabei den besonderen Liebling gar nicht gibt – L’art pour L’art – das bin ich. Die Wechselwirkung macht’s. Der Theatermann braucht die Malerei und umgekehrt. Es muss ja gar nicht so spaßig sein, wie das Zitat, das in Wien über mich kursierte: Die Schauspieler sagten: „Als Maler soll er gar nicht so schlecht sein“ – die Maler wiederum behaupten, ich wäre ein recht passabler Schauspieler...

 

Du stammst aus kleinen, bürgerlichen Verhältnissen. Dein Vater war Polizist und deine Mutter Hausfrau. Wie kam es dazu, dass du bereits im Alter von 12 Jahren als Statist auf der Bühne gestanden hast?

 

Mein Vater merkte früh, dass mich das Kino mächtig anzog. Auf meine Bitten hin meldete er sich häufig als Polizist für den Kino-Dienst, da gab es Freikarten für ihn und eine Begleitperson. Während er meistens rasch einschlief, sog ich das Medium Film in vollen Zügen ein. Unvergesslich der Titanic-Film. Es ist verwunderlich, dass ich keinen seelischen Schaden davontrug, derart erregte mich das Gesehene. Ich verkroch mich unter den Kinositz und weinte. Später wurde mir klar, dass diese qualvolle Lust notwendig war, um sich ganz dem sensiblen Beruf zu ergeben. Als Statist am Linzer Landestheater atmete ich erstmals Theaterluft. Damals gab es noch keine synthetischen Farben – alles auf der Bühne roch nach Leim, der wiederum einen ähnlichen Duft hatte wie eine offene Latrine (kurz Scheiße). Es war für mich das schönste Parfüm der Welt. Leider ist auch diese Seite des Theaters steril geworden.

Und meine Mutter war eine schöne Frau. Zu meinem Leidwesen musste ich aus Ersparnisgründen die Kleider meiner um ein Jahr älteren Schwester auftragen. Und weil ich meiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich sah, musste ich häufig auf der Straße „Is des a scheens Mädi“ anhören, was mich jedes Mal energisch kontern ließ: „I bin ka Mädi, i bin a Bua!“  Schon als 14-Jähriger promenierte ich auf der Linzer Landstraße mit einer roten Liebhaber-Ausgabe von Shakespeare Romeo und Julia und längerer Haarfrisur. Was damals zur Nazizeit häufige Anpöbelung gab. Es störte mich nicht. Ich war  fest überzeugt davon.

 

Der Zweite Weltkrieg prägte dich, du hattest den Krieg verabscheut und der Hunger quälte dich...

 

Ja, ich hab ja auch die „Kristallnacht“ und die Bücherverbrennung miterlebt. Schrecklich, unbeschreiblich. Aber irgendwie war es auch meine Chance, denn alle Bücher, die nicht verbrannt waren, also heil geblieben sind, hab ich heimlich eingesteckt. So konnte ich die große Weltliteratur lesen. Es kam Hitler und mit ihm der Krieg. Alles, was noch laufen  konnte, wurde mobilisiert, auch die Statisten am Landestheater. Meine große Stunde schlug. Jeden Abend ein anderer Bart. Die Maskenbildner hatten Mühe, mein Milchgesicht in einen Ratsherrn oder einen reifen Mann zu verwandeln. Bald wurden die Theater geschlossen, aber das Bruckner-Konservatorium funktionierte noch. Und als Tenor war ich sehr gefragt. Ich musste den jungen Sängerinnen ein Gesangspartner sein, was mich viel Kraft und letztlich auch das hohe C kostete. Meine zarte Tenorstimme verkraftete die vielen Mädchen nicht, sie zog sich zurück. Ich bestand die Aufnahmeprüfung an das berühmte Max Reinhardt-Seminar in Wien, als ich zum Kriegsdienst verpflichtet wurde. Ich bin mir sicher, dass keiner der Zünder, die wir anfertigten, je explodiert ist. Das beruhigt mich heute noch. Schauspielschule gab es im Grunde nicht, einzig in der körperlichen Liebe haben mich meine Partnerinnen perfekt ausgebildet.

Der erste Kanonenschuss auf Wien ließ uns die Stadt schleunigst verlassen. In Innsbruck fing mich am Bahnhof die SS ein und man wollte mich stracks einkleiden und zu den Gebirgsjägern abkommandieren. Ich jedoch bestand auf eine Untersuchung beim Stabsarzt – und der war das Glück meines Lebens. Ein Theaternarr! Er fragte nach meiner Profession und ich spielte ihm Romeo und Carlos vor. Dafür gab er mir (mit geflüsterten Worten: „Bis dahin ist der Krieg aus.“) den notwendigen Stempel, der mich auf weitere zwei Monate von der Wehrpflicht entband. So kam es, dass ich in meinem langen Leben nie eine Uniform tragen musste.

Der Krieg ging zu Ende. Der Hunger jedoch quälte mich weiter. Noch heute fällt es mir schwer, ein Stück Brot liegen zu lassen. Glücklicherweise war ich immer verliebt und diesen Zustand hab ich mir behalten, soweit ich denken kann.

 

Und deine Karriere als Schauspieler begann...

 

1945 spielte ich mit dem großen Attila Hörbiger meine erste Rolle am Landestheater Innsbruck und dann streckte sich die Erfolgsleiter nach oben. Erste Filme, Dichterabende, Engagements in Linz mit dem ‚Leon’ in ‚Weh dem der lügt’ (mein Polizisten-Papa im Pausen-Foyer: „Des is mei Bua!“). Weiter ging’s in Wien mit Protagonisten-Rollen an der Insel in der Komödie (mit Josef Meinrad), Burgtheater mit Oskar Werner, aus Liebe Flucht in die Schweiz, dort aus Blödsinn geheiratet. Mein Vater ein Stunde vor der Hochzeit: „Bua sag na, jetzt wärs noch Zeit.“ Es war das einzige mal, dass ich meinem Vater nicht gehorcht habe. Ich bedaure zutiefst.

1950 hatte ich die erste Ausstellung in Zürich, zwei Landschaften – farbige Kreide auf zärtlichem Samtpapier. Eine davon wurde verkauft. Ich weiß nicht, ob es des Bildes wegen war oder ob ich einen so gewaltigen Eindruck als Liebhaber hinterlassen hatte. In Gedanken rieche ich sie heute noch hin und wieder. Über München (Residenztheater), Staatstheater Kassel (wo ich die schönste und fruchtbarste Theaterzeit erlebte) kam ich an die Städtischen Bühnen Frankfurt. Dort verlangte schon der Maler in mir seinen Tribut. Es folgten Ausstellungen allerorts. Ein persönlicher Triumph: Die Einladung zur Biennale der Jungen Malerei in Paris. Es konnte nicht ausbleiben, ich kehrte dem Theater den Rücken und war bereit, mich ganz der schöpferischen Muse hinzugeben. Ich arbeitete wie ein Besessener in meinem Wiener Atelier. Ja – es kommt immer anders, als man denkt.

Meine erste große Ausstellung hatte ich in der Wiener Staatsdruckerei. Zu den Wiener Festwochen wurde ich mit Gabriele Münter, der Freundin von W. Kandinsky,  zusammen gekoppelt auf Anregung des Kulturpapstes von Wien. Und ehe ich mich versah, war ich wieder am Burgtheater gelandet. Zuvor hatte ich für einen befreundeten Regisseur ein malerisches Bühnenbild geschaffen (zu P. Sartres ‚Fliegen’). Wir standen knapp vor der Premiere, da drohte das Projekt zu platzen, weil der Hauptdarsteller anstatt 100 Schilling nur 90 Schilling als Abendgage bekommen sollte. Wegen 10 Schilling Differenz stieg der Schauspieler des Orest aus der Produktion des Kellertheaters aus. Das Ensemble bekniete mich. „Veit, spiel du den Orest, du musst!“  Das Bühnenbild  wartete in einem Kellerloch am Graben. Ich schluckte die ‚Kroth’ (Kröte), spielte den Orest im eigenen Bühnenbild. Es wurde ein sensationeller Erfolg und über Nacht war ich wieder am Burgtheater. Als Partner der großen Paula Wessely mit Schnitzlers ‚Das weite Land’.

 

Spannend! Und wie ging es weiter?

 

Bald wusste ich, hier kannst du nicht bleiben. Ich musste mich selbst verwirklichen. Auf der Suche nach einem kleinen Theater fand sich am Naschmarkt ein Kellerloch, das machte ich im Handumdrehen zu einem schmucken Theaterchen, nannte es Ateliertheater am Naschmarkt und riss mit avantgardistischem Spielplan die Wiener aus dem Tiefschlaf. Über Henry Kahnweiler bekam ich Kontakt zu Picasso, der übertrug mir die Rechte für sein Stück ‚Wie man die Wünsche beim Schwanz packt’. Weltweit erregte die Aufführung Aufsehen, im Time Magazin waren wir auf Seite 1. Auch Oskar Kokoschka war mit ‚Orpheus und Eurydike’ Gast in meinem Theater.  Er malte mir sein Bühnenbild – was großes Staunen in der Wiener Kunstszene auslöste. Unvergesslich O.K.’s Sorge um mein leibliches Wohl. Er glaubte stets, ich hätte Hunger. Er lockte mich öfter in ein „Beisl“, kaufte mir ein „Fleischlaberl“ und wenn es zum Zahlen ging, holte er sein „Geldbörserl“ hervor, in dem nur ein paar Schillinge waren und ein Hunderter.

O.K.: „Was macht’s?“ – Kellnerin: „5 Schilling 20.“ – O.K. reichte ihr den großen Schein, sie will herausgeben und O.K. mit einer Handbewegung: „Stimmt!“

Ich muss sagen, dass O.K. keine irgend geartete Beziehung zu Geld hatte. Ich errötete ob der Peinlichkeit. Die Kellnerin musste annehmen, ich wäre sein Strichbua.

Heute eine Legende: Brechts ‚Baal’. Hin und wieder trifft man einen Theaterbesucher, der Zeuge dieser Aufführung war, aber die sterben langsam aus.

 

Und die Liebe hat deine „revolutionäre Theaterzeit“ dann verändert?

 

Ab 1965 begann ich mein Ateliertheater zu vernachlässigen. Der Grund dafür hieß Maria Schell. Wir spielten Ibsens ‚Nora’. Und das Resultat dieser Liebe bist du! Schau in den Spiegel! Es kann sich nur um ein ‚Kind der Liebe’ handeln. Schade, dass du so früh als Schauspielerin das Handtuch geworfen hast. Du wärst eine sehr gute Actrice geworden. Deine Begabung ist eklatant – das merkte ich, als ich dich im Züricher Schauspielhaus im ‚Weiten Land’ sah. Das war echt beachtlich.

 

Schöne Worte! Ich habe halt der Liebe wegen „Karriere als Mutter“ gemacht. Aber erzähl weiter: Es kam deine Filmzeit und ich spielte im Alter von 5 Jahren meine erste Rolle unter Deiner Regie.

 

Als Produktion Schell-Relin versuchte ich die finanzielle Ebbe Marias zu verbessern. Endlich fand sich ein Finanzier für die ‚Pfarrhaus-Komödie’, mit der wir bereits auf Tournee Erfahrung sammelten. Im Ateliertheater gastierten wir ebenfalls mit dem Stück. Der Flop von Nora wurde von der Pfarrhaus-Komödie übertüncht. Der ‚Express’ hatte als Headline: ‚Nora verziehen – kehre zurück’.

Beim Dreh zur Pfarrhaus-Komödie brauchte ich dich nicht in Szene zu setzen, das hast du selber gemacht. Und wie!

 

Ab 1975 bist du Leiter des Torturmtheaters geworden. Seit dreißig Jahren leitest du dieses Theater. Respekt, wie schaffst du das?

 

30 Jahre Torturmtheater Sommerhausen. Bilanz ziehen ist ein großes Unterfangen, das hebe ich mir für später auf.

 

Was erwünscht du dir für die Zukunft?

 

Zeichnen und immer wieder zeichnen, durch Portraits hindurch sehen … weißes Papier verwandeln in Kunstwerke ist meine bedeutendste Aufgabe.

 

Und was ist noch besonders wichtig in deinem Leben?

 

Sport und Musik. Ich habe bei der Fußballweltmeisterschaft alle Spiele gesehen, außer zwei. Das bedarf keiner weiteren Erklärung. Ohne Musik zu leben hieße: Tot sein. Kürzlich machte ich im Torturmtheater Schuberts ‚Winterreise’ als Melodram.

 

Wie ist für dich das Alter?

 

Letzte Frage, letzte Antwort: Das Alter ist eine mühsame Sache. Aber es ist die einzige Alternative zum Tod. Und da zieht man das Alter noch vor. (Fritz Kortner)

 

Lustig, wenn man seinen eigenen Vater interviewt. Auch hier heißt es: „Daddy, das unbekannte Wesen.“ Umso schöner, wenn man ihn noch zu Lebzeiten entdeckt.

 

 

© Marie Theres Kroetz Relin "Meine Schells - Eine Familie gesucht und mich gefunden" , LangenMüller Verlag , 2011
 
Foto: Veit Relin mit seiner Tochter Marie Theres Kroetz Relin und seinen Einkelkindern: Josephine, Magdalena und Ferdinand Kroetz
© Copyright Foto: Angelika Relin, 2011
 
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2017 Marie Theres Kroetz Relin
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