Alle Bilder (c) Detlev Schneider;
BILD Erotik-Bibliothek Nr. 9- A.-M. Villefranche
Feuerwerk der Sinne

Stellen Sie sich vor, Ihre geliebte Großmutter stirbt mit 81 Jahren und hinterlässt Ihnen in ihrem „liebevollen Vermächtnis, ein goldenes Armband, eine Menge Geld und einen fest verschlossenen, altertümlichen Schrankkoffer.“ Der Anwalt übergibt Ihnen „den Schlüssel in einem Umschlag“ auf dem in der charakteristischen Handschrift Ihrer Großmutter Ihr Name geschrieben steht. Zusammen mit dem Schlüssel enthält er einen Brief, in dem sie schreibt, dass sie ihnen ihre „Kleinen Memoiren“ vermacht. Sie lassen die Zeit verstreichen, bis Sie die Kiste öffnen: sie enthält „ein Bündel Papier. Die Tinte war verblasst, das Papier brüchig und vergilbt, die Handschrift aber unverkennbar.“ Sie beginnen zu lesen. „Erstaunen ist ein schwaches Wort, um meine Gefühle zu beschreiben.“ - Ihre Großmutter hat nämlich sämtliche erotischen Abenteuer der gesamten Familie, in humorvoller Art und Weise, gnadenlos festgehalten. Und Sie erkennen die „Leute aus ihrer Kindheit.“! Nur die Namen wurden verändert. So wurde aus der Familie Villefranche die Familie Bissard. Und alles was der guten Anne-Marie „unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut wurde“, hatte sie heimlich aufgeschrieben: eine Fülle von Geschichten, die die „moderne“ Zeit zwischen 1925 und 1928 fast lebendig werden lassen: von Josephine Baker, über die Kreuzfahrten nach New York und die Titantic, der „revolutionären“ kurzen Mode, der vornehmen Bussi-Bussi-Gesellschaft, samt wunderbaren Impression aus der „Stadt der Liebe“, dem Paris der 20ziger Jahre, bis zu den Eindrücken des 1. Weltkriegs und wie die „amerikanischen Einflüsse die Jugend verdirbt.“ Frech, poetisch, unglaublich humorvoll und sehr erotisch, hat sie ihre Familie beschrieben. Ich begann natürlich beim Lesen sofort einen Familienstammbaum aufzustellen, damit ich genau wusste, wer denn nun mit wem was hat. Anne- Marie nennt sich selbst nur ein einziges Mal in ihrem Buch, unter Pseudonym als Octavi.
Den Vorgang des Lesens kann man durchaus mit dem sexuellen Akt vergleichen: erwischt man ein langweiliges Buch, dann ist es „ohne ein Vorspiel und die ganze romantische Komödie, Liebe zu machen, von der Ouvertüre bis zum letzten Vorhang dauert nie länger als ein paar Sekunden“, man bleibt unbefriedigt zurück und fühlt sich wie „ein Taschentuch, das zum Schnäuzen gebraucht wurde.“ Bei Villefranches „Liebesreigen“ wird man jedoch „wie ein Buch geöffnet“. Man liest schnell, will das Ziel, den Höhepunkt erreichen und trotzdem lässt man sich Zeit, denn „Ich liebe es, jedes Mal aufs neue herauszufinden, wie ich diese letzten entrückte Momente, bevor der Körper zu explodieren droht, bis zur Grenze des Erträglichen hinauszögern kann.“ Eine authentische Familiensaga, die einem Feuerwerk der Sinne gleicht. „Aber wie schnell vergehen doch die Erinnerungen an die Liebe und wie unmöglich kann man sie wieder einfangen, wenn sie einmal vorüber sind.“
Stimmt, außer man hat eine so wunderbar verrückte Großmutter wie Anne-Marie: Danke fürs Einfangen!




© M.Th. Kroetz Relin 10.09.06
 
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