Alle Bilder (c) Detlev Schneider;
Marie Theres Kroetz Relin – Vereinsamung am Herd

Es war ein Stich. Messerscharf. In der rechten Brust. Ich saß in unserem kleinen Ort auf einer Dorf- Fiesta. Alle lachten, tanzten und schwenkten ihre Körper im rhythmischen Salsa. Die Kinder tobten, die Alten tranken Vino und der spanische Sternenhimmel ließ alles in einem besonders milden Licht erscheinen.
Mir stand der Schweiß auf der Stirn.
Es war der 19. Juli 2002.
Schon Tage zuvor schrieb ich in mein Tagebuch: „Merkwürdige Stiche in der Brust. Übelkeit, Schwindel. Fühle mich krank und elend. Kinder sind lieb und brav. Wenn ich nur wüsste, was ich hab. Weiß nur eins: ich kann bald nicht mehr.“
Ich war schon seit zwei Monaten „allein erziehende“ Mutter, da mein Mann in Deutschland inszenierte. Die tägliche Belastung des Alltags, die ständige Disziplin und die Vereinsamung am Herd wurden mir einfach zu viel. Mir fehlte mein Partner, eine Abwechslung, ein Festhalten. Ich hatte immer noch kein Ventil für die Explosionen in mir gefunden. Aber die Explosion fand statt: mein Körper übernahm diese Rolle.
Ich rief meine Tochter und sagte ihr, dass ich schon mal heimgehen würde, da ich mich nicht so gut fühlen würde. Wie immer mit einem mütterlichen Lächeln.
Ich schleppte mich mühsam zu unserem Häuschen, Schweißtropfen auf der Stirn. Mein Herz raste. Ich blieb einen Moment stehen und schaute aufs Meer, die Sterne, den Mond. Ich legte mich ins Bett und schlief ein. Ich erwachte, als meine Kinder nach hause kamen. Da, schon wieder so ein Stich. Und noch einer und noch.. Es tat irrsinnig weh. Ich versuchte durch vorsichtiges Atmen den Schmerz in der Brust zu beruhigen. Aber jeder Atemzug tat höllisch weh. So verharrte ich ganz ruhig.
Ich konnte mich weder bewegen noch sprechen. Ich hatte keine Angst. Mein Hirn zwang mich zum klaren Denken. Ist wohl immer so, wenn man in einer lebensbedrohlichen Situation steckt.
Dieser Zustand dauerte ca. 5 Minuten. Ewige 5 Minuten. Danach wurde es leichter. Ich stand in Zeitlupe auf, ging in die Küche und sagte zu meiner großen Tochter: „ Ich hab so ein Stechen in der Brust...wenn es noch mal kommen sollte, ruf bitte den Notarzt.“ Dann schleppte ich mich wieder ins Bett. Meine Tochter war total verwirrt, so kannte sie ihre Mutter nicht.
Am nächsten Tag ging es mir etwas besser. Ich war total entkräftet, erschöpft und wog nur noch  49 Kilo. Ich lag im Bett und wühlte in meinen medizinischen Büchern. War ich ja schon immer homöopathisch angehaucht und an Medizin sehr interessiert. Ich suchte nach dem Schmerz in der rechten Brust. Links hätte ich den Schmerz ja verstanden, fühlte sich an wie ein Herzinfarkt. Aber rechts? Ich wurde fündig: Es muss etwas mit der Lunge zu tun haben.
Eine Freundin zwang mich, auf Grund meiner Eigendiagnose, zum Arzt zu gehen. Ich selbst wäre nie auf die Idee gekommen, denn wann geht eine Mutter schon zum Arzt? Außerdem war ich zu schwach. Dieser stellte eine Lungenentzündung fest und verordnete mir eine Antibiotika- Hammer- Kur. „Lungenentzündung, so ganz ohne Fieber?“ dachte mein medizinisches Hirn „ Aber die Lunge hat so einen kreisrunden Fleck, rechts... mhm, wird schon stimmen.“ Ich bekam 14 Tage Bettruhe verordnet, der Flug nach Deutschland wurde gestrichen. Aber wie sollte das gehen? Meine Kinder, der Haushalt?? Wer macht das alles??
Mein Mann war in hellster Aufregung, aber er konnte nicht kommen, da er kurz vor der Premiere stand.
Ich hatte Glück: es entstand ein Netzwerk aus Nachbarinnen und Freundinnen, die im Wechsel das Essen für mich und die Kinder kochten, den Haushalt in Schwung hielten und sich um alles kümmerten. Ich spürte zum ersten Mal wie unglaublich bewegend es sein kann, wenn Frauen zusammenhalten.
Nach 14 Tagen ging es mir zwar wesentlich besser, aber der Fleck in der Lunge verschwand nicht. Ich bekam noch stärkere Antibiotika verschrieben. Ich wollte Heim, nach Bayern, zu meinem Mann. Der Arzt genehmigte den Flug, der Trottel.
Am 5. Juli flogen wir dann endlich nach Deutschland. Ich hoffte alles überstanden zu haben, aber nach der anstrengenden Reise mit drei Kindern und zwei Hunden ging es mir wieder elend. Doch ich überspielte es, sagte nichts meinem Mann. Ich wollte sogar ins Theater um mir seine Inszenierung anzusehen, da ich die Premiere eh schon verpasst hatte.
Und ich ging.
Nachts bekam ich wieder das Herzrasen. Ich bekam Angst. Ich weckte meinen Mann. Aber irgendwie konnte ich mich nicht verständlich machen. Er meinte ich solle mich wieder hinlegen. Ich wurde hysterisch, mir liefen Tränen übers Gesicht und ich schrie: „Ich kann nicht mehr! Ich hab was und weiß nicht was! Aber ich habe nicht mehr die Kraft einen Arzt zu suchen!“
Diesen Hilferuf nahm er ernst und am nächsten Tag fuhren wir zu Prof. Dr. Gärtner, einem Schilddrüsenspezialisten. Ich litt seit 8 Jahren an einer Schilddrüsenüberfunktion und hatte ein Autonomes Adenom, einen so genannten heißen Knoten. Aber ich lebte mit diesem bis dato ganz gut. Der Professor  untersucht mich, die Maschinerie des Krankenhauses nahm mich auf.
Bei der Diagnose wurden mein Mann und ich bleich: Ich hatte eine Lungenembolie erlitten, durch die unsinnige Antibiotika- Therapie einen Super-Gau im Körper und mein heißer Knoten gab mir den Rest.
„Wir müssen eine Lungen-CT machen,“ sagte Dr. Gärtner „aber wegen Ihrer Schilddrüsenüberfunktion können wir Ihnen kein Kontrastmittel geben. Wir müssen also erst Ihren heißen Knoten behandeln.“
Mir schossen die Tränen in die Augen.
„So eine Radiojodtherapie ist nicht schlimm“ , beruhigte mich der Arzt „Sie schlucken eine radioaktive Kapsel, haben keine Nebenwirkungen und zusätzlich 4 Tage Urlaub von der Familie!“
Ich, radioaktive verseucht? Nein, das wollte ich nicht! Ich hatte Angst.
„Schauen Sie, Sie sind wie ein Auto, das immer auf Hochtouren läuft. Den Motor können wir in ein paar Jahren auch noch austauschen, aber die Verschleißerscheinungen kann ich dann nicht mehr reparieren!“
Das sah ich, wenn auch ungern, ein. Ich schaute meinen Mann an und sagte entschlossen: „Wenn ich schon vier Tage in radioaktive Isolierhaft muss, dann kauf ich mir einen Laptop!“
Die Frage, wozu eine Hausfrau einen Computer bräuchte, war vom Tisch, auch wenn ich selbst nicht wusste, was ich damit anstellen würde.

„Guten Tag!“ sagte ich, als ich in unserem bayrischen Dorf den neu eröffneten Computerladen betrat „Ich brauche einen idiotensichern Laptop!“
„Ein Mac ist auch was für Frauen!“ antwortete die füllige Computerdame „Wie wär’s mit einem i-book?“
Hier war ich richtig. Der Kauf war schnell getätigt. Zwei Tage später hatte ich mein Laptop und eine Unterrichtsstunde bei der Computerdame namens Anja Quattlender.
Wir ahnten beide nicht, dass dieser Tag unser Leben total verändern würde.

Am 19.Juli 2002 trat ich meine Isolierhaft an. Hinter dicken Sicherheitstüren mit den „Strahlengefahr“-Zeichen befand sich mein Zimmer. Ich wurde eingewiesen: wo sich alles befindet, wie man Blutdruck misst, wie lange ich unter dem Geigenzähler zu liegen habe und dass ich mit Hilfe einer Münze nur drei Minuten duschen und das Essen erst nach einer Wartezeit von 5 Minuten hereinholen dürfe. Alles wegen der Strahlung. Prost Mahlzeit! Dann kamen die Doktoren, erklärten mir, was nun passieren würde, stellten sich hinter Bleitafeln, so dass nur noch ihr Kopf darüber schaute, was den Effekt von Kasperletheater hatte, drückten mir eine Kapsel in die Hand, dazu ein Glas Wasser und nun sollte ich schlucken.
„Was hab ich mich damals über Tschernobyl aufgeregt!“ dachte ich, machte den Mund auf, schluckte das Ding und wartete auf die Wirkung. Die Herrn Doktoren verabschiedeten sich und von da an war ich 4 Tage mutterseelenallein, im wahrsten Sinne des Wortes. Nicht mal einen Krankenschwester bekam ich zu Gesicht. Klar, ich strahlte!
Gut, dass ich meinen kleinen Computer hatte. Damit war ich beschäftigt und auf dem Weg einen „moderne“ Frau zu werden. Und eine gesunde!

Ich kehrte also „strahlend“ heim: Der heiße Knoten löste sich auf, die Lunge war auf dem Weg der Besserung und mein hausfrauliches Hirn hatte sich mit der Technik intensiv auseinander gesetzt.
Doch ein paar Fragen blieben offen.
So suchte ich erneut diese Anja Q. auf. Ich quatschte und redete wie immer munter auf die ruhige Frau ein. Und irgendwann, in meinem Redeschwall, flutschte auch das Wort Hausfrauenrevolution heraus.
„Das ist ein guter Name für eine Homepage!“ unterbrach mich Anja „ Den sollten Sie sich reservieren!“
„Das kann ich nicht.“ sagte ich zögernd.
„Aber ich!“
„Ist das teuer?“
„Drei Euro im Monat.“
„Dann machen Sie mal!“ sagte ich frech.

Hätte mir damals jemand gesagt, dass Anja meine Partnerin und beste Freundin werden und wir gemeinsam die Hausfrauenrevolution ins Leben rufen würden, hätte ich ihn für verrückt erklärt!

Aber es gibt keine Zufälle. Es fällt einem zu.
Uns fehlte nur noch eins: Der Mut zur Kreativität!


© Marie Theres Kroetz Relin 2004 - Auszug aus "If pigs could fly - Die Hausfrauenrevolution" Piper Verlag


 
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