Alle Bilder (c) Detlev Schneider;
REVUE- Muttertagsbriefe M.Th. & Josephine
Liebste Josephine,

schick´ mir bloß keine Alibi-Blümchen zum Muttertag, nur weil wir derzeit nicht zusammen sein können! Ich weiß auch so, dass Du mich lieb hast. Mich nervt dieser von der Blumen- und Pralinen-Industrie gesponserte Gedenktag! Massen, die einmal im Jahr ihr schlechtes Gewissen beruhigen. So ein Schwachsinn!
Frauen sind die Stütze dieser Gesellschaft, ihre Arbeit ist unersetzlich. Und das tagtäglich! Und ohne Mütter geht gleich gar nichts. Gesellschaftliche Anerkennung, eine ordentliche Rente, das bräuchten wir. Außerdem wird uns die „Ehre“ immer kurz nach dem „Tag der Arbeit“ zuteil, der wenigstens ein „echter“ Feiertag ist. Na ja, es ist eben eine amerikanische Erfindung und erst der Herr Adolf hat dafür gesorgt, den „Tag der Mütter“ in deutschen Landen stubenrein zu machen. Bei diesem braunen Beigeschmack bekomme ich eh Aufstoßen! Für mich ist Muttertag an den Geburtstagen meiner drei Kinder, jawohl, und da schenke ich mir immer eine Pflanze. Und soll ich Dir was sagen? Meine mir zu Deinem 19ten geschenkte „Josephine“, ein Hibiskus, blüht gerade auf. Und wie! Hängt bestimmt mit Deinem Roman-Debüt „Man muss die Welt nicht verstehen, man muss sich bloß in ihr zurechtfinden“ zusammen: mein schönstes Geschenk, Dein Buch druckfrisch in Händen zu halten. Denn Deine phantasievolle Art zu Schreiben ist für mich die größte Bestätigung, dass sich mein Einsatz, das Vorlesen, das erste Tagebuch,10 Jahre ohne Fernseher und vieles mehr- sich voll rentiert haben! Schade, dass ich meiner Mutter nicht mehr von Deinem Erfolg erzählen kann. Ja, da bekommt der Muttertag plötzlich eine andere Bedeutung: als ich am Grab Deiner Oma stand, wurde mir klar, dass ich die nächste Mutter bin, die stirbt. Und die nächsten Tränen werden die Tränen meiner Kinder sein. Kein schöner Gedanke, ich kann euch doch nicht weinen sehen! Drum lass uns wie bisher jeden Tag feiern, verziert mit vielen kleinen Gesten, die weit mehr wiegen als Schokoladenherzen.
Hab Dich lieb, alte Socke!

Die stolze Mama





Liebste Mama,

erstmal herzlichen Dank, dass du mich an den Muttertag erinnert hast! Nein, war bloß Spaß! Ich kann es ja verstehen, dass dich dieser Feiertag nicht sonderlich berührt, aber ganz ohne Blumen für Dich geht es auch dieses Jahr nicht. Damit du aber nicht meinetwegen gegen deine Prinzipien verstoßen musst, werde ich dir jetzt erklären, wo der Mutatag eigentlich herkommt. Ja, ich meine Mutatag. Denn „Mutter“ wird aus dem lateinischen „muta“ abgeleitet, und kommt von „mutus“, was eigentlich „stumm“ bedeutet. Das Wort „muta“ taucht nur noch selten und versteckt auf. Beispielsweise „mutabel“, was veränderlich bedeutet. Mütter müssen, wie wir wissen, von der guten Hausfrau und Köchin, bis zur Assistentin und Erzieherin, sehr wandelbar sein. Diese unglaubliche, tagtägliche Arbeit wird von der Gesellschaft aber totgeschwiegen, „mutus“ eben. Aber die Geschichte der Muta geht viel weiter zurück, und ist bis heute fast vollkommen verloren gegangen. Lachesis muta, zum Beispiel, ist die Bezeichnung für den Buschmeister, die größte und gefährlichste Giftschlange Amerikas. Schlangen haben in der Geschichte des Menschen immer eine große Rolle gespielt. Bis heute werden sie sowohl verehrt (Asklepios, der Gott der Heilkunde, der ursprünglich eine Schlange war) wie auch gefürchtet (Medusa mit dem schlangenbesetzten Kopf). Manche Schlangen wurden sogar nach Göttern benannt. So ist Lachesis die Göttin, die den Lebensfaden zuteilt und Morien die Göttin des Schicksals. Oder man denke schlicht und einfach an die falsche Schlange im Paradies, womit wir wieder bei Eva und der Mutter Erde angelangt wären.
Na ja, zufällig weiß ich, da ich ja Deine Tochter bin, dass du die Homöopathie liebst und dass dein Mittel zufälligerweise das Gift einer Schlange enthält.
Von daher fühle ich mich frei, dir doch Blumen zu schicken und dir außerdem ganz herzlich zum Mutatag zu gratulieren! Du hast ihn dir, als meine persönliche Göttin des Lebens und des Schicksals, redlich verdient!
Halt die Ohren steif!

Dein Josephine



© Marie Theres Kroetz Relin und Josephine Kroetz erschienen in REVUE am 8.05.08
 
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