Alle Bilder (c) Detlev Schneider;
Marie Theres Kroetz Relin- Knast im Hirn

Einsamkeit! Ein Samen keimt?


„Machst Dich nützlich, dann bemerkt man Dich nicht.“
Franz Xaver Kroetz

Tagebucheintrag am 1. Januar 2002

Geliebtes Tagebuch – nein, ich hab Dich nicht vergessen, nein, nie... aber diese guten Tage waren so rein, so gut, sie haben mich so aufatmen lassen, dass ich sie in schriftlicher Form nicht mehr festhalten wollte. Ich war so frei von jeder Angst, war nach vielen Jahren seelischem Gefängnis endlich wieder bei mir selbst angelangt, ich war einfach glücklich.
Sie war unglaublich schön diese Zeit, in der ich ich selbst war, auf der Suche nach meinem Ich, nach meinen Begabungen und wissend, dass ich noch eine Aufgabe zu erfüllen habe.
Ich kämpfte darum wie eine Löwin, diesen guten Zustand ewig zu halten. Aber ich kapitulierte vor mir selbst, ich habe verloren. Ich brauche neue Kraft, aber ich weiß nicht mehr, woher ich sie nehmen soll. Ich weiß nur, dass ich dankbar bin, wieder einmal an den Wurzeln meines Ich’s angekommen zu sein. Ich habe dabei erfahren, dass ich irgendwann mein Ziel auch erreiche, wenn ich mich erst entschließe, meinen schwierigen Weg weiter zugehen.
Dieser Zustand des Glücks hat die Tiefen meiner Seele erreicht, hat mich die Liebe erfahren lassen, hat mir Welten geöffnet.
Auch wenn derzeit für mich alles schwarz aussieht, so hatte ich es doch schon mit meinen Händen erfasst. Und wenn alles noch so aussichtslos ist: ich weiß, dass ich einen Zustand, den ich einmal erlebt und angenommen hatte, wieder hervorrufen kann.
Auch mein unendlicher Schmerz gehört dazu - Ohne Negativ gibt es kein Positiv. Ich muss lernen es anzunehmen, für meine Fehler einzustehen, meinen Rücken gerade zu halten und die Angst wieder abzulegen.
Ich bin durch 15 Lehrjahre gegangen, habe vor mir und meiner Weiblichkeit des öfteren kapituliert, habe mich aufgegeben und bin wieder aufgestanden, habe alles mit mir alleine abgemacht, in den schwersten Situationen. Und ich hab es gern getan, ich bereue nichts.
Aber für irgendetwas müssen doch diese Wanderjahre gut gewesen sein?
In mir finden tausend Explosionen statt, meine inneren Stimmen sprechen im Kanon. Sie diktieren mir mein Leben und eine Kraft treibt mich, dass ich meine es müsste mich zerreißen. Ich muss einen Ausdruck finden. Ich weiß, das war es noch nicht, es treibt mich weiter, ein Drang etwas zu tun. Es wird etwas „Großes“ sein - für mich. Mein ganzer Weg, auch mein Leidensweg, ist vorbestimmt. Ich weiß nur nicht, wann ich stehen bleiben und ich selbst sein soll. Noch nicht. Aber ich werde es herausfinden.

Nach außen bin ich wie eine Maschine die funktioniert, alles läuft geregelt ab, tack, tack, tack, nichts bringt mich aus der Bahn, tack, Alltag, Kinder, die ich unendlich liebe, Mann, Haushalt, tack - alles wird organisiert, alles klappt, tack, ich bin die treibende Kraft für viele, die mich umgeben - aber in meinem Innersten herrscht Chaos. Es sind tausende von Energien, die in tausend Richtungen strömen. Sie müssen gebündelt werden, um etwas zu erreichen - denn so wie sie jetzt herumirren, verpuffen sie im Nichts.
Jetzt stehe ich an einer Kreuzung mit einer schwarzen Tür, meiner seelischen Gefängnistür - aber durch eine Ritze scheint Licht. Ich muss diese Tür nur aufmachen und ins Licht gehen. Mich erwartet eine Aufgabe, der Weg ist bereit. Ich muss die Kraft haben, diesen Weg zu gehen, der mich dort hinbringen wird, wo ich hingehen muss.
Schreiben befreit. Es gibt mir den nötigen Frieden.
Gestern fiel mir folgender Satz ein: „La vie est courte et je n’existe pas.“ Traurig, aber wahr: dass das Leben kurz ist und ich existiere nicht.
Ich kann mein Ich nicht ausleben, weder in Musik, Tanz, Malerei, noch im Helfen von anderen Menschen. Ich fühle mich in diese dämlich Hausfrauenrolle gepresst, eine Rolle, die ich nicht mehr so spielen möchte: Depressiv, schweigend, lustlos, dumm und unattraktiv - eben ein Hausmütterchen.
Aber ich will wieder meine Weiblichkeit tragen, unbefangen und offen, herzlich, lustig und sexy sein. Ich will raus aus dem Knast im Hirn und meine Sprachlosigkeit durchbrechen.

© Marie Theres Kroetz Relin 2004 - Auszug aus "If pigs could fly - Die Hausfrauenrevolution" Piper Verlag


 
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