Alle Bilder (c) Detlev Schneider;
WELT AM SONNTAG - Knast im Hirn
Ein Flashback- vergrabene Erinnerungen tauchen plötzlich in mir auf: Notstand Mutter!
Es ist nett hier in dem kleinen Lokal der Einheimischen, Kinder sind in Spanien ja auch zu später Stunde noch Willkommen. Meine drei Kinder sind mittlerweile in einem Alter, in dem sie sich gut selbst beschäftigen können. „Auf einen gemütlichen Abend!“ proste ich meinen Freunden zu. Mit IHM kann ich mich wirklich gut unterhalten, nur meine Freundin, Mutter von zwei Kleinkindern (2 und 4 Jahre) kann nicht mitreden, denn sie wird pausenlos beschlagnahmt und zum Außenseiter des Gesprächs. Die zwei Mädchen wollen ständig auf Mama´s Schoß, turnen auf ihr herum, müssen Pipi, haben Hunger oder Durst oder beides...
Gedanken schießen mir durch den Kopf: „Nach außen bin ich wie eine gut funktionierende Maschine, alles läuft geregelt ab, tack, tack, tack, nichts bringt mich aus der Bahn, tack, Alltag, Kinder, die ich unendlich liebe, Mann, Haushalt, tack - alles wird organisiert, alles klappt, tack, ich bin die treibende Kraft für viele, die mich umgeben - aber in meinem Innersten herrscht Chaos.“ Das schrieb ich am 1.Januar 2002 in mein Tagebuch. Das größere Mädchen kippt ein Glas um, die Mutter wischt und nimmt nebenbei dem Kleinkind die Gabel ab, bevor es sich damit den Rachen aufspießt. Ich habe Mitleid mit der guten Frau. Nur zu gut kenne ich diese Situation. In mein Tagebuch schrieb ich dazu: „Gestern fiel mir folgender Satz ein: „La vie est courte et je n’existe pas.“ Traurig, aber wahr: das Leben ist kurz und ich existiere nicht. Ich kann mein Ich nicht ausleben, weder bei Musik, Tanz oder Malerei, noch kann ich anderen Menschen helfen. Ich fühle mich in diese dämlich Hausfrauenrolle gepresst, eine Rolle, die ich so nicht mehr spielen möchte: Depressiv, schweigend, lustlos, dumm und unattraktiv - ein Hausmütterchen eben.
Ich will wieder meine Weiblichkeit tragen, unbefangen und offen, herzlich, lustig und sexy sein. Ich will raus aus dem Knast im Hirn und meine Sprachlosigkeit durchbrechen.“ Die Pizza kommt, alle stürzen sich darauf, nur die Mutter kann jetzt nicht essen, sie muss schließlich die Kleinen füttern. Muss sie? „Du isst jetzt mal zuerst!“ sage ich zu ihr, schnapp mir die Mädchen und setze sie dem Vater auf den Schoß. Basta, Vati schafft das schon. „So, die Kids sind versorgt. Pass mal auf: wenn ich dich so beobachte, habe ich das Gefühl meinem alten ICH zu begegnen. Kann es sein, dass du total überlastet bist?“ Meine Freundin schaut mich etwas überrascht an, aber zeitgleich sehe ich, wie ihr ungewollt die Tränen in die Augen steigen. „Bravo, du bist jetzt schon auf dem besten Weg, deine Grundbedürfnisse zu vergessen! Die Ur-Instinkte von Nestchenbauen und  Kindergroßziehen stecken uns Muttis nach wie vor tief in den Eierstöcken. Kein Wunder, denn in diesem Rollenbild kleben wir seit Jahrtausenden, die Emanzipation haben wir aber erst seit vierzig Jahren. Wir sind einfach so blöd, wir wollen immer die „Gute“ spielen und stecken automatisch zurück. Und weißt du wohin das führt?“ sage ich streng zu ihr „In eine Sackgasse! Gleichberechtigung beginnt im Hirn! Du musst dich verändern! Ich spreche aus Erfahrung: Mit 28 Jahren hatte ich schon drei Kinder und lebte in dem „Mutti-Fulltimejob“ auf.  Aber ich verdrängte dabei unbewusst mein Kreativpotenzial. Ein Fehler, denn es brodelte wie in einem Schnellkochtopf auf hoher Flamme- aber leider ohne Ventil! Mit 35 Jahren stellte sich mir dann aber langsam die Frage, was ich wohl in 10 Jahren machen würde, wenn meine Kinder aus dem Haus wären... Mir wurde ganz schlecht bei dem Gedanken an meine Zukunftsaussichten: keine beruflichen Perspektiven, kein eigenes Geld, keine Rücklagen, und eine Rente unter 300 Euro! Fucking hell! Und 2002 war es dann soweit - der große Knall: zwei Monate war ich „allein erziehende Mutter“, weil mein Mann in Deutschland inszenierte. Die tägliche Belastung des Alltags, die ständige Disziplin und die Vereinsamung am Herd wurden mir einfach zu viel. Mir fehlte mein- ein- Partner, eine Abwechslung, ein Festhalten. In mir herrschte Chaos und ich hatte immer noch kein Ventil für meinen Schnellkochtopf gefunden. Die Explosion musste unweigerlich stattfinden: mein Körper übernahm das und ich wurde krank. Sonst hätte ich wahrscheinlich nie kapiert, dass ich unbedingt etwas für mich tun musste: umdenken, Eigenverantwortung übernehmen, Ärmel hochkrempeln und eine radikale Lebensveränderung anstreben.
Ich gründete die Hausfrauenrevolution.com und fand von einem Tag auf den anderen viele Gleichgesinnte- mittlerweile zählt meine Webseite über 6 Millionen Besucher. Ich schrieb mir meine Bedürfnisse von der Seele, habe mir damit einen Beruf erschaffen und genau das erreicht, was ich wollte: ich bin Autorin und Journalistin geworden, kann von Zuhause aus arbeiten, habe meine finanzielle Unabhängigkeit und eine eigene Versicherung erworben und habe, last but not least, auch die Scheidung eingereicht.
Aber zur Veränderung braucht man Mut und der fehlt uns Frauen oft. Man muss nämlich riskieren, abgelehnt zu werden. Verstehst Du? Sich unentbehrlich zu machen, das ist eine schöne Ersatzhandlung. Man kann sich gut einreden, die Kinder geben mir alles, und mehr brauche ich nicht. Nur, irgendwann reicht das eben doch nicht mehr. Mach nicht den gleichen Denkfehler wie ich, nur aus Angst vor Konflikten. Es geht sehr wohl auch mal ohne uns, jeder ist ersetzbar. Fordere von deinem Mann mehr Mitarbeit ein und gib ihm ein wenig von deiner Verantwortung ab. Es wird euch beiden gut tun....“ Plötzlich spüre ich einen Finger auf meine Schulter tippen. „Entschuldigung...“ unterbricht der gestresste Vater vorsichtig meinen Monolog „Ich will ja euer Frauengespräch nicht stören, aber könnten wir jetzt mal Schichtwechsel machen und ihr übernehmt die Kids? Meine Pizza ist eh schon kalt...“ Wir zwei Frauen schauen uns an und beginnen zu lachen. Den armen Vati hatten wir doch tatsächlich vergessen. Eben, so geht es auch! Rollenspiel im Rollenwechsel und schon wächst die Gleichberechtigung im Hirn.



© Marie Theres Kroetz Relin 2006- erschienen am 14.05.06 in WELT AM SONNTAG
 
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