Alle Bilder (c) Detlev Schneider;
Josephine Kroetz - Filmpraktikanten und kein Mindestlohn

Liebe Produzentenallianz,

im Namen aller Praktikanten die unter meiner Führung gearbeitet, jawohl und ich sage GEARBEITET, haben sehe ich mich gezwungen gegen Ihre Forderung, UNSERE Filmpraktikanten vom Mindestlohn auszunehmen, zu protestieren. Die Ausbeutung der Praktikanten in der Filmindustrie ist intern durchaus bekannt und jedes einzelne Filmset in Deutschland würde sich strafbar machen wenn auch nur einmal in der Richtung kontrolliert würde. Was sag ich, so manche Produktion würde wahrscheinlich umgehend eingestellt werden. Was bitteschön versucht ihr also zu erreichen?!

Ich glaube Ihr wisst sehr genau, dass das der Gipfel des Eisbergs ist und dass das Fass langsam überläuft: Gagen drücken, Filme schlecht finanzieren, Möchtegern-Tarifverträge abschließen an die sich dann sowieso KEINER von euch hält. Und jetzt wollt ihr auch noch die KLEINSTEN, die SCHWÄCHSTEN von uns um ihr bisschen Geld bringen?!

Als Set-Aufnahmeleiterin habe ich das Vergnügen sehr tief in Eure Welt aus Macht und Geld schauen zu können. Mein Vergnügen an Euch ist allerdings langsam erschöpft, Zeit für ein Stückchen Wahrheit aus MEINEM Alltag:

Die Praktikanten an Film- und Kino-Sets arbeiten im Schnitt zwölf Stunden am Tag, oftmals sind die Tage auch länger. Ohne ihre Mitarbeit funktioniert meine Abteilung nicht. Sie sind vor allem für das Fahren von 3,5t Wohnmobilen verantwortlich. Da die meisten so große Autos noch nie gefahren haben beginne ich die Produktion für gewöhnlich mit Fahrstunden. Besonders kritisch sind die ersten Tage: Die meisten sind noch sehr jung, haben noch nie gearbeitet und schon gar nicht so lange und sehen sich mit einer Menge Aufgaben konfrontiert, die sie ausführen müssen obwohl sie ihnen noch nicht gewachsen sind. Es fängt an beim Starkstrom verlegen, geht weiter beim Straßen sperren, bis hin zum übermüdeten Fahren und die Verantwortung Komparsen abzurechnen. Zusätzlich erfüllen sie eine Menge, teilweise unangenehme Aufgaben: Das Team mit Essen und Trinken zu versorgen, Sonderwünsche zu erfüllen, Motive aufzuräumen und im Zweifelsfall zu putzen, Parkplätze zuzuweisen, den Müll wegbringen oder die Fäkalien von Ihren hochbezahlten Schauspielern zu entsorgen. Und jetzt kommt das Lustige: Diese Praktikanten betrifft die Mindestlohnregelung ja gar nicht! Denn nach sechs Wochen ist so ein Fernsehfilm ja bekanntlich abgedreht und für den Kinofilm gibt`s halt dann zwei Verträge á fünf Wochen. Ja ja, Sie brauchen jetzt gar nicht die Augen zu verdrehen, wir wissen doch alle wie der Hase läuft!

Also lassen Sie uns zu den Produktionen übergehen die es tatsächlich betrifft. Am Besten Sie setzten sich.

Es handelt sich hierbei um die sogenannten Dailys. Sie wissen schon, Scripted Reality, Soaps, Nachmittagsprogramm eben. Hier verhält es sich mit den Praktikanten noch mal ganz anders und vor allem diesen Formaten haben Sie es zu verdanken, dass Ihre Forderung völlig unter der Gürtellinie ist. Viele dieser Produzenten finanzieren Ihre Produktion fast ausschließlich über billige Praktikanten. Diese werden schamlos ausgebeutet, benutzt und danach weggeworfen. Das Ganze läuft folgendermaßen:

Sie bewerben sich völlig naiv für eine Praktikantenstelle. Dort werden Ihnen beste Aufstiegsmöglichkeiten garantiert. Sie fangen als Set Praktikanten an, werden dann Assistenten, arbeiten sich hoch zur Set-Aufnahmeleitung, dürfen dann die ersten Schritte als Motiv-Aufnahmeleiter machen, bis sie irgendwann zum Ersten Aufnahmeleiter ernannt werden. Selbstverständlich wächst das Gehalt nur sehr dürftig bis gar nicht, immerhin kriegen sie die Chance und die ist mit Geld nicht aufzuwiegen. Die Produktionen stellen es äußerst geschickt an die jungen Leute so zu manipulieren, dass sie Erstens der Auffassung sind sie bekämen die besten Möglichkeiten und Zweitens sehr subtil anhängig gemacht werden. Ich spreche von kleinen Drohungen wie zum Beispiel Strafzettel von ihren 450€ Monatsgehalt abzuziehen, selbst wenn sie diese nicht selbst verschuldet haben oder rausgeschmissen zu werden, wenn sie sich nach einer langen Arbeitswoche nicht am Wochenende zur Verfügung stellen um das gedrehte Material zu sichten. Man überträgt ihnen die Verantwortung Motivverträge abzuschließen, gibt ihnen das Verrechnungsgeld mit dem sie sämtliche Ausgaben bezahlen sollen (und wehe es fehlt etwas), lässt sie Standfotos mit billigen Digitalkameras machen und staucht sie anschließend zusammen dass diese nicht scharf und somit unbrauchbar sind. Ich hab schon vielen Praktikanten eine Schulter zum Weinen geboten: Sie werden unter Druck gesetzt und sie werden für Fehler verantwortlich gemacht die sie gar nicht zu verbüßen haben, weil an ihrer Stelle eigentlich eine bezahlte Fachkraft sitzen müsste! Aber das merken sie nicht weil sie nie gelernt haben was bei uns Richtig und was Falsch ist.

Das Rad dreht sich ewig weiter. Kaum ist man auf der Karriereleiter eine Position weiter gekommen ist man dafür verantwortlich die nachrückenden Praktikanten auszubilden. Das heißt Praktikanten lernen nur noch von Praktikanten und dabei bleibt eine ganze Menge auf der Strecke (soviel zu der „Lehre“ mit der Ihr zu argumentieren versucht). Und wenn diese jungen Menschen die Masche dann endlich durchschaut haben und ihr Recht einklagen, dann ist es vorbei mit der Filmkarriere und sie fangen wieder von vorne an: Als Praktikant, bei einem anderen Set.

Und genau aus diesem Grund wollt Ihr den Mindestlohn für Praktikanten erst ab 12 Monaten durchsetzten: weil Euer ganzes Konzept sonst zusammenbrechen würde! Weil das Rad sich dann nämlich nicht mehr drehen würde! Denn es ist unmöglich Praktikanten von anderen Praktikanten im Turnus von sechs Wochen ausbilden zu lassen! Das funktioniert nicht! Das geht nur im Turnus von – Simsalabim – einem Jahr!

Es wäre angemessen gewesen dem Gesetz mit der gleichen Souveränität entgegenzutreten wie es alle anderen Branchen auch getan haben. Es wäre angemessen gewesen in diesem Sinne über eine bessere Personalbesetzung nachzudenken. Es wäre angemessen gewesen im gleichen Zuge einen Gedanken daran zu verlieren wie man jungen Filmschaffenden, den Praktikanten, eine bessere Ausbildung, vielleicht tatsächlich eine Lehre, im Bereich Learning by Doing bieten kann.

Der Fisch fängt immer am Kopf an zu stinken und der Kopf ist, in dem und in vielen anderen Fällen, nicht die Produktionsleitung! Ich bleibe meiner Abteilung weiterhin treu und loyal aber von euch lasse ich mich nicht weiter korrumpieren!

Ich bin auf meine Lehrlinge angewiesen und ich finde dass sie dafür anständig entlohnt gehören! Und das nicht nur über die allerseits unbeliebte Praktikantenkasse!

Mit freundlichen Grüßen,
Josephine Kroetz

  © Josephine Kroetz veröffentlicht bei crew united  Mai 2014

 
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