Alle Bilder (c) Detlev Schneider;
AZ - Jarabe de Palo

„Wenn ich nichts mehr zu sagen habe, lass ich’s bleiben.“

Eine persönliche Begegnung mit dem spanischen „Latino-Rock-Poeten“ Jarabe de Palo zum Auftakt seiner Deutschland-Tour.Heute Abend, 20:30 Uhr: Muffathalle  München

Seine Musik haben meine drei Kids angeschleppt und seit zirka 10 Jahren begleitet sie mich durchs Leben. In guten Zeiten hüpfe ich im Salsa-Rhythmus durchs Haus und finde das Leben einfach „bonito“, in schlechten kann ich heulen wie ein Schlosshund. Manchmal identifiziere ich mich mit der geheimnisvollen „La flaca“, wenn ich mein dürres Gestell im Spiegel sehe; dann frage ich mich „depende“, von welchen Blickwinkel ich abhänge, egal, „adelante“, immer vorwärts, und „Olé“. Kurz: Jarabe de Palo hat für jede meiner Lebenslagen den richtigen Song und ich habe den Eindruck: der Typ guckt mir in die Seele und kennt mich. Aber ich kenne ihn nicht! Das muss sich ändern.
Pau Donés, Frontmann der Band Jarabe de Palo, wurde 1966 in der spanischen Region Aragón geboren, wuchs aber in Barcelona auf. Früher war er – man höre und staune – Polizist, liebte immer die Musik und erst im Alter von 30 Jahren kam der Erfolg. Heute lebt er auf einer einsamen Finca in den Pyrenäen mit Kühen und Ziegen. Er liebt Berlin, die Stadt, in der ihn keiner kennt. Ein wirklich spannender Mann, der was zu singen hat.
Der Name der Band rührt von einem alten Sprichwort her, aus einer Zeit, als noch „handfeste“ Erziehungsmaßnahmen zum schulischen Alltag gehörten: „Jarabe“ der Sirup, „de palo“ der Stock, die Tracht Prügel. Ungefähr nach dem Motto: „Nimmst du nicht die bittere Medizin, dann schlag ich dich zu Brei“.
Im wirklichen Leben hat Pau gar nichts „Lehrerhaftes“, sondern eine dicke Portion Charisma, kleine Feuerwerke in den Augen und ein mildes Lächeln.

„Ich bin Autorin“, stottere ich irritiert, „und komme aus einer Künstlerfamilie: Maximilian, Maria Schell.“ Umständlich versuche ich zu erklären, wer die „Tschells“ sind und hoffe, dass er nicht denkt, ich sei ein Ölkonzern-Spross. „Jedenfalls war ich Schauspielerin, bis ich meine dreifache Karriere als Mutter gestartet habe, inklusive Hausfrauenrevolution. Und mit deinen Songs habe ich spanisch gelernt. Meine Kids … also, die ganze Familie … liebt und hört deine Musik.“
Shit, ich bin nervös.
Er aber lächelt verschmitzt, reißt die Hände in die Luft und ruft: „Juhu!“
Super, Fans scheinen ihm zu gefallen.
„Ich spreche halt mit dem Herzen spanisch und finde es schade, dass dein deutsches Publikum deine Lieder nicht versteht. Dein Song „Prohibido fumar“ ist für uns super aktuell, da in Deutschland kürzlich auch das Rauchverbot eingeführt wurde. Wenn man dein Lied ohne Sprachkenntnisse hört, denkt man, es handelt sich um eine Lovestory, die romantisch am Strand beginnt und vielleicht in einer Fabrik endet … nicht aber, dass es um Rauch-, Denk- und Liebesverbot geht. In Deutschland weiß man viel zu wenig von dir. Wer bist du also?“

... aber im Internet?

„Ja, aber nicht auf Deutsch.“

Mit Worten kann ich mich nicht gut ausdrücken, es fällt mir schwer. Dafür aber mit meiner Musik. Das ist meine Art, meine Meinung zu sagen. Ich brauche die Melodien und Harmonien. Seit 12 Jahren machen wir Musik, geben Konzerte, haben 6 CDs gemacht, sind in Amerika und Europa aufgetreten und auch wenn unsere Sprache nicht verstanden wird, so bekommt das Publikum unsere Aussage mit – via Musik.
Bei euch hat das Nena mit ihren „99 Luftballons“ geschafft. Mir hat ihr Song immer gefallen, auch wenn ich den Text nicht verstanden habe.

(Er beginnt „99 Luftballons“ zu singen.)
Die Menschen, die Jarabe de Palo sehen wollen, haben irgendeine Beziehung zu Spanien. Egal, ob in Deutschland, Österreich, der Schweiz … Es ist das Feeling, das unsere Musik transportiert und die Leute erreicht.
Als ich jung war und die Stones, Bowie oder die Beatles hörte, habe ich auch nichts verstanden, nur gespürt! Das ist das Wichtige. Ich habe ihre Lieder geliebt, die traurigen machten mich melancholisch und die heiteren happy und ich konnte wieder Gas gegeben. Die Vibration der Musik löste das Gefühl aus. Musik ist meine Form, mich auszudrücken. An dem Tag, wo ich nichts mehr zu sagen habe, lasse ich’s bleiben.

„Deine Songs sind nie gerade, du denkst immer über Ecken. Manchmal wirken deine Gedankengänge unlogisch, trotzdem bringst du die Message auf einen Nenner. Aber man muss mitdenken. Manchmal muss ich über deine Gedanken lachen.“

Ich erzähle den Menschen, was in mir vorgeht, was mir widerfährt, aber ich will es nicht zu offensichtlich machen. Ich husche nur über mein Inneres.
Es ist interessant: Ich schreibe Songs, dann nehmen wir sie im Studio auf, aber in dem Moment, in dem sie das Publikum erreichen, sind es nicht mehr meine Lieder. Jeder interpretiert meine Musik auf seine eigene Art.

„Du willst also, dass die Leute mit deiner Musik durch eigene Fantasie in deine Lieder wachsen?“

Ein Beispiel: Deine Liebesprobleme haben sicher nichts zu tun mit den meinen, aber am Schluss stehen wir beide vor dem gleichen Resultat: Wir sind traurig!
Ich will, dass jeder mein Lied mit nach Hause nehmen kann – in seine vier Wände – und es SEIN Lied wird.

„Du setzt dich auch für die sozial Schwachen unserer Gesellschaft ein?“

Ich versuche, das zu aufzuschreiben, was mir passiert, was ich sehe oder was mich berührt. Das ist das, was mich motiviert. Das Rauchverbot bedeutet: Wir leben in einer Welt der Verbote. Oder: Diese verfluchte Welt will, dass wir in irgendeiner Form alle „reinrassig sind“. Lächerlich. Niemand ist „rein“. Wir stammen halb von den Arabern, halb von den Wikingern ab. Gerade in Nordamerika herrscht eine Mischung, so kräftig wie bei einem Eintopf. Das Wasser besteht ja auch aus einer Mischung mit Sauerstoff, und das brauchen wir zum Überleben. Oder die Musik besteht aus „do, re, mi, fa, sol, la, si, do“. Wenn wir nur „si“ und „do“ hätten, gäbe es keine Musik! Die Mischung macht’s!

„In vielen Liedern sprichst du vom Fliegen? Warum?“

Uns allen würde es gefallen, richtig glücklich zu sein, oder? Das Fliegen bedeutet, abzuhauen, zu fliehen oder einfach nur ein bisschen glücklicher sein. Sich frei zu fühlen, treiben zu lassen ... Wenn ich Vögel beobachte, flippe ich aus. Selbst eine Taube ist für mich eine Sensation.

„Bist du mal geflogen? Ich mache Paragliding ... ein Freiheitsgefühl wie im Traum. Du musst mit der Natur arbeiten, dem Wind, den Wolken …“
(Er winkt ab).

Nein, nein, das nicht. Wenn du frei denkst, bist du frei. Mental fliegen. Sich befreien von den ganzen Verpflichtungen, das meine ich.

„Und wann schreibst du?“

Morgens. Ich bin tagsüber fit. Abends um 10 Uhr bin ich im Bett.

„Echt?“

Wenn wir Konzerte haben, werden die Nächte natürlich länger. Aber im Alltag bin ich um 10 Uhr im Bett. Wir sind vier Geschwister und als ich 25, die anderen 24, 23 und 15 waren, durfte im Haus meines Vaters ab 10 Uhr abends niemand mehr das Telefon abheben. Drum bin ich’s gewöhnt. Wenn ich meine Tochter ins Bett bringe, penne ich gleich mit ihr ein.

„Wie alt ist deine Tochter?“

Sie ist 4 Jahre. Ich bin ein Tagmensch, gehe tagsüber ins Studio, aber schreiben tue ich überall: im Hotel, Flugzeug, nach dem Konzert...

„Schreibst du zuerst den Text und dann die Melodie?“

Ich kann keine Noten. Ich schreibe den Text, spiele dazu Gitarre, Schlagzeug etc., nehme es auf und dann gebe ich es der Band, die dann die Noten aufschreibt. Ich spiele alle Instrumente, aber alle schlecht. (lacht) Und außerdem bin ich Legastheniker. Ich verdrehe die Buchstaben.

„Ups, ich auch, trotzdem bin ich jetzt Autorin. Wann hast du mit Musik angefangen?“

Im Alter von 10 Jahren habe ich meine ersten Songs geschrieben. – Ich muss los, sehen wir uns nach dem Konzert?

„Claro que si!“

Während ich darauf warte, bis mich seine Musik „abheben“ lässt, denke ich darüber nach, woher sein Vorname kommt. Inspiriert von seinen Worten, erfinde ich meine Interpretation: Er ist ein Mix aus dem fliegendem Peter Pan und Pan Tau, der sich mit seiner Musik unsichtbar macht. Schlicht: Pau. Auf die Mischung kommt’s an!
See you, next song, irgendwo im Nimmerland, aber – bitteschön – wie immer mit heißblütigen Latino-Rhythmen!
Und bleib so wie du bist, denn: „Me gusta cómo eres“


© M.Th. Kroetz Relin 2009, teilweise erschienen in
Münchner Abendzeitung


Weiter Tourdaten:

2009-05-23 - Innsbruck, Österreich
2009-05-24 - Linz, Österreich
2009-05-26 - München - Muffathalle
2009-05-27 - Köln - Gloria Theater
2009-05-28 - Berlin - Kesselhaus
2009-05-29 - Bremen - Schlachthof
2009-05-30 - Hamburg - Fabrik
2009-06-01 - Amsterdam. Holland
2009-06-02 - Brüssel, Belgien
2009-06-03 - Zürich, Schweiz
2009-06-04 - Bern, Schweiz
2009-06-06 - Madrid, Spanien

weiter Infos unter:


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