Alle Bilder (c) Detlev Schneider;
Muttern im Stand-By Modus
Muttern verlässt mit ihrer Tasche das Krankenhaus und atmet genüsslich die frische Luft ein. Vier Tage lebte sie von der Umwelt isoliert, allein in einem Zimmer mit einem Geigenzähler. Nicht mal eine Krankenschwester bekam sie zu Gesicht, duschen durfte sie nur 3 Minuten pro Tag. Eine Schilddrüsenüberfunktion bescherte ihr den göttlichen Zwangsurlaub, Radiojodtherapie nennt sich die Wunderkapsel, die heiße Knoten verschwinden lässt. Muttern strahlt.
Sie hat das Radioaktive ohne Nebenwirkungen überstanden und fühlt sich wie ein neuer Mensch. Anders jedoch ist die Wirkung auf ihre Umgebung. „Geht es Dir nun gut?“ fragt die besorgte Freundin und fügt hinzu „Aber bitte komm mir nicht zu nahe, Du strahlst doch noch!“ Jeder den sie trifft spricht ähnlich und fügt noch schnell ein paar radioaktive Gedanken hinzu. Als wandelndes Tschernobyl kehrt sie heim, doch selbst die Familie geht nach überschwänglicher Begrüßung auf Sicherheitsabstand. Sie hatte die Therapie gut weggesteckt, doch nun fühlte sie sich durch Worte verseucht. Enttäuscht zieht sie sich zurück und liest in einer Zeitung: „Wissenschaftler und Studien bestätigen Krankheiten und Befindlichkeitsstörungen durch
Elektrosmog. Geräte im Stand-By-Modus verursachen zwar schwache, aber dennoch belastende und vor allem überflüssige Strahlungen.“ Muttern liest interessiert den Artikel und lacht: „Ha, eine „strahlende“ Zukunft habt ihr alle! Aber ich strahle, weil es mir endlich gut geht!  Ab jetzt genieß ich meinen Stand-By-Me-Modus!“ Ja nicht vom Alltag ausknipsen lassen, Muttern!


© Marie Theres Kroetz Relin 2004- erschienen in "Die Aktuelle" Heft Nr. 13
 
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