Spiegel – von Arno Frank „Ein ebenso leichtes wie tiefes Buch.“

Marie Theres Relin und Franz Xaver Kroetz»Deine halbe Familie hat’s gewusst!« – »Es wurde halt totgeschwiegen«

Hier sprechen Marie Theres Relin und Franz Xaver Kroetz über ihr gemeinsames Buch »Szenen keiner Ehe«. In dem heißt es, der Schauspieler Maximilian Schell habe seine damals 14-jährige Nichte vergewaltigt.

Interviews geben Marie-Theres Relin, 57, und Franz Xaver Kroetz, 77, derzeit nur gemeinsam. Als der SPIEGEL um ein Gespräch bittet, leitet Relin die Mail an Kroetz weiter. Seine Antwort schickt der Schriftsteller, Schauspieler und Grantler – postwendend und vermutlich versehentlich – an den ganz großen Verteiler.

 

„Der Fuzzi (und die noch kommen) will nix von unserm Buch, bzw. nicht mal von dir, sondern möglichst authentisch und brühwarm NUR vom Mißbrauch, den sie am liebsten wie eine halbtote Kuh melken würden, in der Hoffnung, sie gibt blutrote Milch“.

Das ist schroff formuliert, aber nicht ganz falsch. „Szenen keiner Ehe“ erzählt davon, wie das seit 2006 geschiedene Paar einen alten Mercedes von Teneriffa nach München überführt. Beide schreiben aus jeweils eigener Perspektive, ohne den Text des Anderen zu kennen. Was wie ein experimenteller Reisebericht angelegt ist, liest sich wie eine dialogische Meditation über Nähe und Distanz, Vertrauen und Vergessen, das Altern und die Liebe. Ein ebenso leichtes wie tiefes Buch.

Für Aufsehen sorgte es nicht wegen seiner literarischen Qualitäten – sondern weil Marie-Theres Relin darin auch von der Vergewaltigung durch einen Onkel erzählt. Relin war damals 14 Jahre alt und der Onkel schnell als Maximilian Schell identifiert – kurz darauf berichtet auch seine Tochter Nastassja von sexuellem Missbrauch durch ihren Vater. Der 2014 verstorbene Oscar-Preisträger (»Das Urteil von Nürnberg«) gehörte, wie seine Schwester Maria Schell, zum kulturellen Inventar der Bundesrepublik. Das ist die blutrote Milch.

Termin im Parkhotel von Bremen, der Fotograf würde gerne noch ein weiteres Foto machen. In einem Nebenraum habe er ein „total tolles Sofa“ entdeckt, schönes Motiv. Relin spielt mit, aber Kroetz hat Schmerzen im Knie und mag nicht: „Das geht mir am Oasch vorbei, ich bleib jetzt sitzen. Hast mich verstanden? Basta!“.

Gleich darauf tut es ihm leid, der Fotograf könne ja nichts dafür, und er humpelt doch noch zum tollen Sofa. Später trinkt Kroetz ein Bier, während Relin sich einem opulenten Eisbecher widmet („Den hat der Kroetz bezahlt, also muss ich ihn auch aufessen!“). Für einen Fuzzi müsste es jetzt darum gehen, das Gespräch in seinem Verlauf ganz behutsam auf das unerwünschte Thema zu lenken …

SPIEGEL: Frau Relin, Herr Kroetz, in Ihrem Buch gibt es eine heikle Stelle …

Relin: Wir brauchen auch gar nicht darüber reden …

Kroetz: Das kann er nicht, dann kriegt er kein Honorar!

SPIEGEL: Es ist in der Welt, also lassen Sie es uns aus dem Weg räumen.

Kroetz: Wichtig ist schon, dass diese Geschichte überhaupt im Buch stand, der Vorgang, die zwei Seiten. Es war beschützt in einem Buch, das sie endlich geschrieben hat. So konnte sie es einpacken – mit mir und meiner Literatur. Und dann haben’s die Dreckshammel rausgerissen, und dann ist es ein Skandal geworden. Das ist die Scheiße!

SPIEGEL: Sie spielen auf die Berichterstattung der „Bunten“ an?

Relin (löffelt weiter ihr Eis, imitiert eine TV-Sprecherin aus dem Off): „Während sie ihre Eiscreme schleckte, erzählte sie vom Missbrauch, hmmm“. So wird eben Erregung verkauft, die Emotion, sogar der Immobilien-Fuzzi verkauft ein Gefühl. Das machen wir Künstler ja auch nicht anders.

SPIEGEL: Hat es diese zwei Seiten denn gebraucht? Das Buch ist mehr als eine Hülle, in die Sie die Schilderung eines Missbrauchs verpackt haben.

Relin: Ich wollte die Geschichte einer unabhängigen Frau erzählen, die mitten im Leben steht, wieder nach Teneriffa kommt, ihren Ex dabeihat – und langsam wieder in Handlungsmuster verfällt, die innerhalb der Ehe irgendwann zur Trennung geführt hatten. Dazu gehört eine gewisse Sprachlosigkeit. Mein Gedanke war, dass ich dem Franz vom Missbrauch erzählen will. Der hat das ja wirklich nicht gewusst, und auch meine Kinder haben es nicht gewusst …

Kroetz: Aber Deine halbe Familie hat’s gewusst!

Relin: Es wurde halt totgeschwiegen. Und jetzt wird das Opfer an den Pranger gestellt, es gibt eine Umkehr der Schuld, es geht nur noch um den Täter …

SPIEGEL: Der Verlag wird sich über diese heikle Stelle gefreut haben, oder?

Relin: Die haben Schiss gehabt. Zuerst wollten sie die Stelle ganz streichen, das würde von der Geschichte ablenken. Und ich habe gesagt: Nee, das habe ich mir schon so gedacht, das gehört zum Aufbau. Darum ist es mir doch gegangen, dass man dieses Schweigen einmal bricht über Missbrauch, der in der Familie stattfindet.

SPIEGEL: Haben Sie eine Therapie gemacht?

Relin: Schon, ja. Ich habe das alles eigentlich ganz gut weggesteckt. Mein Problem ist, dass ich immer in diese Schell-Schublade gesteckt werde. Immer bin ich die Tochter von, die Nichte von, die Ex-Frau von, lebt auf Teneriffa …

SPIEGEL: Wo Sie auf die Idee für ein gemeinsames Buch gekommen sind.

Relin: Ja, mir fiel zuerst der Titel ein. Mit einem schlechteren Titel als „Szenen keiner Ehe“ hätte ich den Franz vermutlich nicht ködern können.

Kroetz: Stimmt.

SPIEGEL: Und wie haben Sie geschrieben? Im Buch ist von einer Schreibmaschine die Rede, an der Kroetz sitzt …

Kroetz: Ja, das stimmt aber nicht. Ich schreibe mit dem Computer. Ich sage nur, dass es eine Schreibmaschine ist.

SPIEGEL: Weil der Computer als Schreibmaschine benutzt wird?

Kroetz: Weil das Wort erdverbundener ist.

SPIEGEL: Sie weisen oft darauf hin, dass das Ich des Buches nicht unbedingt mit Franz Xaver Kroetz identisch ist.

Kroetz: Ist es auch nicht.

SPIEGEL: Ist die Arthrose in Ihrem Knie auch autofiktional?

Kroetz: Nein, die ist leider echt. Ich stehe vor einer Operation, aber da stehe ich schon seit zehn Jahren. Ich weiß auch nicht, was ich tue, wenn das Knie einmal künstlich ist. Es gibt Dinge, die man nicht loswerden will. Es gibt Schmerzen und Probleme, die man behalten will. Weil sie einen Teil der Existenz ausmachen. Alle meine Probleme gehören dazu. Manchmal kann man sie auch benutzen.

SPIEGEL: Zum Schreiben?

Kroetz: Wofür sonst? Ich habe aber gegen unsere Vereinbarung verstoßen und nicht täglich geschrieben. Du hast täglich geschrieben!

Relin: Das musste ich auch. Ich habe mich tatsächlich täglich hingesetzt …

Kroetz: Das war Dein Glück! Sonst gäb’s das Buch nicht. Unterwegs habe ich schon auch geschrieben, aber ich bin faul und alt. Das war alles nichts. Es hat nicht funktioniert. Ich habe das alles erst zuhause in München geschrieben. Und selbst da wollte ich den Scheißdreck schon aufgeben. Aber Dir hatte ich’s versprochen. Insofern hast Du das richtig gemacht. So wie es überhaupt Dein Buch ist. Weil, Du hast etwas zu sagen. Jemand, der mich kennt, könnte zurecht sagen: „Ach, dem Alten fällt auch nichts mehr ein!“. Aber ihr, ihr ist etwas eingefallen! Daran haben wir auch Journalisten erkannt, die geschrieben haben, dass es eigentlich mein Buch wäre. So ein Schmarrn!

Relin: Die Hälfte aller Journalisten ist beim Querlesen gar nicht bis zur Stelle mit dem Missbrauch gekommen, die hatten das komplett übersehen.

Kroetz: Am Anfang hing uns dieser scheiß Missbrauch zum Hals heraus, weil der das Buch kaputt macht. Jetzt sind wir heilfroh!

SPIEGEL: Frau Relin, Ihr Ex nennt Sie eine „Dampfnudel“ oder sagt: „Man kann sehen, wie ihr Gesicht zuwächst“. Besonders frauenfreundlich ist das nicht, oder?

Kroetz: Entschuldigung, aber diese Frage ist wieder ein totaler Schmarrn. Das schreibende Ich ist nicht das lebende Ich. Ich habe eine Figur erschaffen. Sonst hätte ich schreiben können: Es war nett, es ist uns gut gegangen … und Punkt. Die Figur, die ich schaffen wollte, hängt noch an dieser Frau, kann sich von ihr letztlich nicht lösen – und macht sie deswegen dauernd schlecht. Das ist die Geschichte. Ich hab‘ gemeint, Sie hätten’s früher verstanden …

SPIEGEL: Das ist von Anfang an völlig klar. Trotzdem …

Kroetz: Ich meine, was haben wir denn erlebt auf der Reise? Zwei ältere Leute fahren mit dem Auto nach München? Da fällt Dir noch lange nichts ein! Das gilt auch für die „Dampfnudel“, das habe doch nicht ich gesagt. Das sagt die Figur zu der Figur! Wenn man einigermaßen literarisch gebildet ist, dann merkt man das dem Text an. Ich musste das füllen, ich wollte ein saftiges Stück schreiben. Das ist Literatur, aber das gilt heute anscheinend nichts. Und Du mit Deinem Scheißmissbrauch hast alles kaputt gemacht!

Relin: Wenn man seine Stücke liest, merkt man, dass er ein absoluter Frauenkenner ist und sich gut in unsereins hineinversetzen kann.

Kroetz: Eine Sache, die wirklich schrecklich war, die genauso stimmt und mich wirklich fertig gemacht hat, war dieses Schnarchen.

Relin: Mich hat das auch fertig gemacht, im Badezimmer zu schlafen!

Kroetz: Ohne das Schnarchen hätte es vielleicht die Stelle mit dem Maximilian Schell gar nicht gegeben.

Relin: Stimmt. Er hat geschlafen, ich habe geschnarcht. Und dann hat er mich so oft angestupst, dass ich mir gedacht habe: Okay, dann setze ich mich jetzt halt hin und schreibe. Ganz nüchtern, einfach nur aufgelistet, was passiert ist, ganz en passant, ohne Gewichtung.

SPIEGEL: Nun, Sie beschreiben das Glied des Täters als „klein“ …

Relin: Das kleine Glied habe ich absichtlich drin gelassen. Es erklärt, warum dieser Mann pädophile Neigungen gehabt hat. Weil man die jungen Mädchen trotzdem noch damit beeindrucken konnte.

SPIEGEL: „Aus der Kunst gibt es zwei Ausgänge, einen schrecklichen, den Irrsinn, und einen lächerlichen, den Kitsch. Und dazwischen die heitere Linie des Genies“.

Kroetz: Mein Satz! Kommt in meinen unveröffentlichten Memoiren vor, den habe ich bei mir selbst gestohlen. Ich bin stolz, dass ich als Schriftsteller noch in der Lage bin, einen solchen Text zu schreiben.

SPIEGEL: Im Buch nennen Sie sich selbst einen „toten Reiter“ auf einem „toten Pferd“, der nur noch „Schlamm“ zuwege bringt. Warum?

Kroetz: Weil’s so ist. Das Alter ist ein Massaker. Das hat der Philipp Roth gesagt.

SPIEGEL: Andere Männer ihres Alters residieren stolz auf dem Thron ihres großen Werkes.

Relin: So war der Franz aber nie! Bei den Schells war das immer so, die haben sich gegenseitig applaudiert, da war immer alles „sensationell, sensationell“. Der Franz war immer ein zweifelnder Künstler.

SPIEGEL: Mochten Sie diese Familie, Herr Kroetz?

Relin: Als wir uns kennenlernten, hat er seine Mutter angerufen und gesagt: „Mutti, ich habe mich verliebt! Und weißt Du auch, in wen? Jetzt pass mal auf, in die Tochter von der Maria Schell!“. Das hat er seiner Mama erzählt!

Kroetz: Für meine Mutter war die Maria Schell so etwas wie die Königin Elisabeth von England. Und plötzlich war das meine Schwiegermutter. Wunderbar war es auch, nach und nach die Mitglieder der Familie kennenzulernen. Auch den Max, er war so lustig.

Relin: Ich war auch mit meiner Mama eng verbunden. Das ist erst später alles mehr und mehr zerbrochen. Dieses Jahr war die Online-Versteigerung vom Inventar des Hauses meiner Mutter. Ich saß heulend vor dem Computer und sah die Zuckerdose meiner Kindheit weggehen, die Krippe meiner Kindheit, den Putzeimer meiner Kindheit, sogar das Tagebuch meiner Mutter …

SPIEGEL: Warum haben Sie sich das angetan?

Relin: Weil ich einen Text darüber geschrieben habe: „Die versteigerte Kindheit“. Wenn der SPIEGEL daran interessiert ist … ich wollte aufzeichnen, wie schrecklich das ist, wenn man sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Ich war seit meinem 17. Lebensjahr voll berufstätig und habe mein Geld verdient. Franz und ich haben noch versucht, meine Mutter vor der manischen Depression zu bewahren. Wir haben den Untergang voll mitbekommen

SPIEGEL: Maximilian Schell hat eine vielgelobte Dokumentation über diesen Untergang gedreht: „Meine Schwester Maria“.

Relin: Er wollte, dass der Franz und ich darin mitspielen. Wir haben beide abgelehnt.

Kroetz: Da haben wir’s gemerkt. Das war das einzige Mal, wo ich mir gedacht habe: „Ah, Maximilian, Du bist auch ein komischer Vogel“. Denn dieser Film ist reine Leichenfledderei an einer Lebenden.

SPIEGEL: Sind Ihnen, Herr Kroetz, die wilden Zeiten der Bohème in München nicht auch noch vertraut?

Kroetz: Ich bin kein Münchener. Ich habe 1974 einen Hof im Chiemgau gekauft, ich habe 1971 eine Jagdhütte hinter Augsburg gekauft. Ich wohnte und wohne in Pasing. Das ist alles nicht München.

SPIEGEL: Frau Relin, Sie haben nach der Hochzeit mit Kroetz die Schauspielerei aufgegeben, sich frauenpolitischen Themen gewidmet. Warum?

Relin: Weil ich etwas Neues machen wollte im Leben. Und gesehen habe, was falsch läuft. Beispiel: Rente. Ich habe eine Freundin in Berlin, Frau von einem sehr schwierigen Künstler, hat ein Kind großgezogen, der Mann ist eine Lebensaufgabe.

Kroetz: An der Stelle will ich immer den Namen sagen, aber dann schimpft sie mich wieder aus.

Relin: Wieviel Rente kriegt die? Da kommt dann die Frage: Hat sie gearbeitet? Hat sie, war aber nicht erwerbstätig. Sie bekommt 100 Euro. Pro Monat. Wir leben nicht in Mombasa, für Deutschland ist das ein Armutszeugnis. Könnte sie Grundsicherung kriegen? Ja, wenn sie sich scheiden lässt. Solange der Mann etwas verdient, bekommt sie nur 100 Euro. Oder Mütterrente, ein Punkt, hurra, das sind 15,60 pro Monat. Und sie feiern’s! Liegt das dann nur an mir? Oder bin ich unpässlich, weil ich den Mund aufmache? Die unpässliche Frau?

SPIEGEL: Auch ein guter Titel.

Relin: Gibt’s schon.

Kroetz: Das ist ein sehr schönes Sachbuch über die Menstruation, wie die behandelt wurde vom Anfang bis heute.

SPIEGEL: Die eigentliche Geschichte von „Szenen keiner Ehe“, mehr als 300 Seiten, sind von einer wohltemperierten Zärtlichkeit, unter der die Erwähnung des Missbrauchs regelrecht verschüttet ist

Kroetz: Das wollte ich auch so schreiben, verflucht nochmal! Das geht nur so! Ich habe zu ihr gesagt: Du hast mich wahnsinnig geliebt, und dann hast du mir für ein paar Jahre den Tod gewünscht. Da ist doch eine Dialektik drin, da muss doch irgendwas sein! Und dann lese ich das …

SPIEGEL: Hat es Sie denn schockiert?

Relin: Ich habe irgendwo noch die erste SMS, die Du mir geschickt hast … (greift nach dem Handy, sucht)

Kroetz: Ich habe gelesen, gelesen, gelesen und dachte, da habe ich sie unterschätzt, das hat sie wirklich gut gemacht. Ich komme mit meinem metaphernhaften „blablabla“ nur dazwischen. Sie aber …

SPIEGEL: Bei ihr läuft der Film.

Kroetz: Bei ihr läuft der Film. Ganz genau. Und als ich dann an diese Stelle kam, da habe ich erst einmal mit dem Lesen aufhören müssen. Da habe ich erst einmnal nachdenken müssen. Wie gesagt. Es war mir nicht klar.

SPIEGEL: Was genau?

Kroetz: Wie man sich trauen kann, so etwas zu tun. Wenn ich auf meine Nichte noch scharf wäre, niemals hätte ich mich in meiner einfachen, simplen, kleinbürgerlichen Familie getraut, meine 14-jährige Cousine … also, die Onkel und Tanten hätten mich ja erschlagen! Woher, und das hat mich dann viel beschäftigt, hat der denn überhaupt diese – im negativen Sinne – Souveränität genommen?

SPIEGEL: Haben Sie eine Antwort auf diese Frage gefunden?

Kroetz: Ich hab’s lange gedacht. Maximilian Schell war mal in dieser Talkshow von der Frau Böttinger und hat öffentlich gesagt: „Dem Vergewaltiger macht’s sicher Spaß. Aber vielleicht macht’s ihr auch Spaß“. Und ich habe mir da – nicht als Staatsanwalt, sondern als Schriftsteller und Neugieriger – gedacht: Vielleicht hat der mit Frauen ein derartiges Glück gehabt im Leben, ist so begehrt gewesen, dass der sich überhaupt nicht hat vorstellen können, dass es eine gibt, die ihn nicht will. Als dialektische Volte, sozusagen. Inzwischen weiß ich, dass er es sich sehr gut vorstellen konnte – und da hat er sich dann darüber hinweg gesetzt.

SPIEGEL: Weil er sich auf dem Thron bequem gemacht hat?

Relin: Aber ja. Selbstverständlich war in unserem künstlerischen Milieu beispielsweise dieses Aktzeichnen. Es gibt Bilder von mir, wo ich als kleines Mädchen dastehe und die Zehen nach oben stelle vor lauter Verspannung. Und meine Mutter meinte: „Nein, das ist Kunst, Schatzi, da musst Du Dich dran gewöhnen!“. Ich habe übrigens Deine SMS gefunden, Franz, was Du mir geschrieben hast von Deinem ersten Eindruck. Darf ich’s vorlesen?

Kroetz: Habe nichts dagegen.

Relin (liest vom Handy): „Bin gut heimgekommen, und es war schön. Dein Text ist lang. Da ich ja Einiges miterlebt hab‘ von dem was Du schreibst, bin ich da nicht neugierig genug gewesen. Sieht man, wenn man nicht dabei war, sicher anders. Dass ich negativ bin für Dich, ist mir auch nichts Neues. Aber durchgehend gut geschrieben und vor allem, dass ich mich zum Schreiben zwingen musste, tut meinem Text nicht gut. Dass du schreiben wolltest und auch etwas zu sagen hattest, macht’s toll. Seitdem ich das mit Deinem Onkel weiß, ist mir ein bisserl schlecht. Bin noch stumm, aber stolz auf dich. Kann mir denken, dass du denkst: Was soll denn das jetzt? Aber ich liebe Radikalität. Und Mut hast Du und Deinen Stil gefunden. Gratuliere. Ich finde das toll“.

SPIEGEL: Oh. Das ist gewissermaßen unser ganzes Gespräch in einer einzigen SMS.

Kroetz: Hey, ich kann gut schreiben. Respekt, Herr Kroetz.

 

© Arno Frank, SPIEGEL 06.10.2023