„Kennen Sie Robert Atzorn persönlich?“, fragte Klaus Kaufmann und zeigte auf das Plakat in der Bäckerei. „Nein, da müssen Sie Marie Theres fragen“, antwortete Christine Deliano. „Das war meine Schülerin!“, murmelte er verwundert. „Nein, das ist die Tochter von der Schell Mar’e!“ Es dauerte keine fünf Minuten, da klingelte mein Telefon. „Dein ehemaliger Klavierlehrer wird sich gleich bei dir melden.“ Ein Wiedersehen nach 45 Jahren!
1974, da war ich 8 Jahre alt, ging meine Mutter nach einem Konzert auf ihn zu und fragte ihn, ob er uns Kinder unterrichten würde. Das Klavier in Heberthal stand im Salon. Unser Bernhardiner, der nicht rein durfte, sabberte im Dreivierteltakt, während ich mich in den Tonleitern übte. Einmal lud meine Mutter den jungen Lehrer zum Abendessen ein, es käme Besuch. Der Gast war kein Geringerer als Klaus-Maria Brandauer. Als dieser sich vorstellte, meinte Piano-Klaus zum Schauspieler-Klaus „Das ist nicht notwendig, ich hab Sie auch so gleich erkannt.“ Für mich aber war’s der „Klausi“, mit dem ich später für die „Quo Vadis“ Neuverfilmung vor der Kamera stand. An feuchtfröhlichen Abenden spielten Brandauer und meine Mutter „Wettheulen“: Wer am schnellsten und schönsten Tränen produzieren konnte. Eine unvergessliche Kindheitserinnerung.
Wahrscheinlich wäre ich eine hervorragende Pianistin geworden, wenn Klaus Kaufmann nicht 1979 ans Salzburger Mozarteum gegangen wäre. Ich liebte den Unterricht bei ihm und überwand nicht den Verlust. Als er 1982 auch noch nach Japan ging, schien er für mich für immer „verloren“. Somit wurde meine musikalische Karriere jäh beendet.
Aber jetzt gibt es ein Revival: Klaus fragte mich spontan, ob ich nicht das Melodram „Enoch Arden“ von Richard Strauss im Wasserburger Klaviersommer interpretieren möchte. Der Text stammt von Alfred Tennyson, ein Bestseller-Autor seiner Zeit. Welche Herausforderung! Der Komponist Richard Strauss ist obendrein mein Namensgeber inkognito, denn mein Vater liebte die Oper „Der Rosenkavalier“ – der weiblichen Hauptrolle Marie Theres sind mehrere Arien gewidmet. „Wie möchtest du genannt werden?“, fragt man mich oft. Beim Namen! Für die einen bin ich „Marie“, für die anderen „Theres“, das „Reserl“ oder gar „Maria Theresia“. Dabei ist es so einfach wie bei einer Telefonnummer: Vorwahl plus Rufnummer. Ist eine Ziffer falsch, erreicht man nicht den Empfänger. In meiner Kindheit wurde ich auch noch als „das Mausi“ tituliert. Ich litt dermaßen darunter, dass ich eines Tages nach der Schule heim kam und meinen Eltern erklärte: „Ab heute heiße ich nur noch Eva!“ Meine Eltern bekamen einen Lachkrampf und fragten, warum. „Das ist ein Name, den man nicht abkürzen kann.“, antwortete ich mit ernster Miene.
Generalprobe in Horb mit Rita Kaufmann, die übrigens liebevoll von ihrem Mann „Mausi“ genannt wird. Als sein Ruf durchs Haus erschallt, entwich mir prompt ein reflexartiges „Ja“. So ist es, wenn die Kindheit im Hirn anklopft. Ich bin aufgeregt. Ritas virtuoses Spiel ist ergreifend, das Melodram dramatisch und der Text – Story einer spannenden Dreiecksgeschichte – schwierig. Die Buchstaben – wie einem Sänger gleich – auf die richtigen Noten zu setzen, erfordert Übung. Übung bedeutet Zeit und die haben wir nicht, da die begehrte Pianistin von den Bayreuther Festspielen engagiert wurde.
Während ich den Text studiere, tauchen parallel Erinnerungen auf: Ich stand im Wasserburger Gymnasium an der Tafel und unser Lehrer forderte mich auf „ein Blatt Papier“ auf Französisch zu schreiben. „Feuille de papier“- ich hatte derart Angst, die Buchstaben zu verdrehen, dass ich zitterte und es warm zwischen meinen Beinen wurde. Mein Lehrer (Theo Hecht) erkannte meine Not – und meine Lern- und Leseschwäche – und kämpfte für eine Noten-Befreiung. Leider bestand ich knapp die Legasthenie-Tests und musste weiter mit schlechten Noten leben, bis ich mit 16 Jahren nach Paris ging und perfekt Französisch lernte.
Tempi passati, Vergangenheit bewältigt. Heute bin ich Autorin, Schauspielerin und neuerdings auch Rezitatorin. Ich freue mich auf den Sprung ins kalte Wasser in meiner Heimatstadt. Nein, nicht in den Inn sondern in den Fluss der Musik, der Literatur, dem virtuosen Klavierspiel und meiner Interpretation am 12. Juni um 11 Uhr im Rathaussaal.
Sonntag, 12. Juni, 11 Uhr, Rathaussaal
Matinee
Das Melodram „Enoch Arden“ von Richard Strauss
Marie Theres Relin, Erzählerin
Rita Kaufmann, Klavier
Der Eintritt ist frei, Spenden sind erwünscht.
www.wasserburger-klaviersommer.de
© Marie Theres Relin teilweise erschienen in der Wasserburger Zeitung am 09.06.2022