AM 15. JANUAR WÄRE SIE 95 GEWORDEN
Wasserburger Weltstar in Kinderschuhen:
Einblicke in Jugendzeit von Schauspielerin Maria Schell
Zum 95. Geburtstag meiner Mutter Maria Schell
Der junge feurige Schweizer Dichter Hermann Ferdinand Schell sah die bildschöne Schauspielerin Margarethe Noé Nordberg auf der Straße, ging ihr entschieden nach und bat sie seine Frau zu werden. Sie schloss die Augen, sah in einer Vision ihre vier Kinder vor Augen, wusste der Mann ist ihre Bestimmung und ein Kuss besiegelte die Verlobung. Fertig.
Immerhin gingen aus dieser Verbindung zwei Weltstars hervor!
Zu hundert Prozent ein Hochzeitsnacht-Baby: Am 15. Januar 1926 erblickte Margarethe Maria Schell in Wien das Licht der Welt. Gritli, so der Spitzname meiner Mutter, verbringt ihre ersten Lebensjahre im Sommer auf der Alm in Kärnten, im Winter in Wien, beim Großvater. Die junge Familie hat kein Geld und ist auf die finanzielle Unterstützung des Herrn Doktor angewiesen. Ein Künstlerschicksal eben. Aber sie sind glücklich.
Meine Mutter übt sich früh in Selbstständigkeit. Als Zweijährige stapft sie auf der Alm einfach los. Nach stundenlanger Sucherei fand meine Großmutter sie endlich. „Aber Gritli, wo warst du denn?“, und ihre Antwort war „Opapa gehn Wien, weit dort unten.“
Die ungestillte Sehnsucht meiner Großmutter im Hausfrauenalltag galt der Schauspielerei. Sie repetierte laut am Kochtopf das Klärchen aus „Egmont“, bis das Kind im Laufstall es nachplapperte: „Komms mit Bakenburg, muß Menschen nix kennen, befreien ihn gewiß.“ Muttis erste Rolle.
Nach Carl ist nun das dritte Kind, Maximilian unterwegs und das Geld der jungen Familie reicht hinten und vorne nicht. So wird meine Mutter als Vierjährige kurzerhand verschickt: Sie bekommt ein Schild um den Hals, darauf steht die Telefonnummer des Großvaters in Wien. Dieser hängte ihr das nächste Schild um den Hals und setzt die Kleine in den Zug nach Basel. Bei der Ankunft hockt das Mädel ganz allein auf ihrem Rucksack und wartete mit ihrem Schild um den Hals. „Bist du die Schweizer Großmutter?“, fragt sie, als endlich eine Frau auf sie zukommt. Sie bleibt eine Zeit in Basel und wird weiterversandt zur Tante Elise in Schwyz. Über ein Jahr ist Gritli fern von ihren Eltern. Und es soll nicht das einzige Mal sein.
1934 kommt Immy, das vierte Kind auf die Welt. Die Familie lebt wieder vereint in Wien. Meine Mutter erlebt eine gute Schulzeit mit erstem Kinobesuch und erstes Theater spielen.
Im März 1938 kann die junge Familie vor dem Anschluss Österreichs an Nazideutschland in die Schweiz fliehen. Sie dürfen nichts mitnehmen, keine persönlichen Gegenstände, nur das, was sie am Leib hatten und 20 Franken pro Person. Das war’s. Nicht gerade viel für den Neuanfang einer sechsköpfigen Familie. In der Schweiz gerät die Flüchtlingsfamilie richtig in Not. War vorher schon kein Geld da, gibt es jetzt erst recht keins. Die Eltern finden bei Freuden Unterschlupf. Die Buben schickt meine Großmutter „in ein Institut“, wie sie es vornehm ausdrückt. Tatsächlich ist es ein Waisenhaus. Meine Mutter kam in eine Klosterschule ins Elsaß und sogar die vierjährige Immy wurde verschickt. Zwei ganze lange Jahre blieben die Kinder von den Eltern getrennt. „Aber hätten wir uns einen Strick um den Leib schnüren sollen, um den Hunger nicht zu spüren? Geld musste her. Und ich musste es verdienen“, schrieb meine Großmutter.
1940 kommt die auseinandergerissene Familie endlich wieder zusammen. In der ehemaligen Richard Wagner „Villa Wesendonck“ – die zum Flüchtlingsheim umfunktioniert wurde – finden sie in der Dienerwohnung eine Bleibe. Auch wenn das Leben von Armut geprägt war, so wuchsen sie dennoch auf „wie Königskinder“. Vom Krieg spürte man in der Schweiz nicht allzu viel und das Schauspielhaus Zürich erlebte seinen Höhepunkt als Emigrantentheater.
Meine Großmutter war wieder als Schauspielerin tätig und selbst die Kinder standen mit auf den Brettern. Das fiel auch einem Kritiker auf, der das aufgeführte Stück „Wilhelm Tell“ in „Wilhelm Schell“ umbenannte. Die 16-jährige Gritli Schell, alias meine Mama, wurde als Schauspieler-Tochter entdeckt und drehte ihren ersten Film „Steinbruch“ im Jahr 1942. Unzählige Rollenangebote folgten und die NZZ schrieb: „Seit dem Auftreten der blutjungen Elisabeth Bergner gab es kein solches Talent mehr auf deutschsprachigen Bühnen.“ Ihre Karriere begann: a Star is born!
© Marie Theres Relin, erschienen am 16. Januar 2021 im OVB – mit freundlicher Genehmigung.