OVB – Filmkritik: Heimatfarce mit Kabarett-Elite


„MIT DEM RÜCKWÄRTSGANG NACH VORNE“

Film von Soyener Jungregisseur feiert Premiere in Edling – Und so war sie

Marie Theres Relin

Paraderolle als Bürgermeister: der Priener Kabarettist Uli Bauer.
Paraderolle als Bürgermeister: der Priener Kabarettist Uli Bauer.
© Schnoifabrik Media

Marie Theres Relin

von Marie Theres Relin

Trotz sintflutartiger Regenfälle hat am Montagabend die Filmkomödie „Mit dem Rückwärtsgang nach vorne“ von Sebastian Schindler aus Soyen am Stoa in Edling Premiere gefeiert. Wie‘s war? Wir verraten‘s Ihnen!

Edling – „Die Weltpremiere ist buchstäblich ins Wasser gefallen!“, zeichnet Kabarettist Wolfgang Krebs als Headline gekonnt in die Luft und setzt pointiert mit erhobenen Finger hinterher „Des schreibt’s ma aba ezat net!“ Gelächter von Michael Altinger und Alexander Liegl – es herrscht Volksfeststimmung bei der Premiere des Films „Mit dem Rückwärtsgang nach vorne“ von Sebstian Schindler am Stoa trotz sintflutartigen Regens.

Zurück in die 80er

Da ist sie wieder die lange ersehnte bayerische Sommerkomödie, die das Publikum vor Vergnügen quietschen lässt. Zurück in die 80er, die Geschichte sei schnell erzählt:

Gottesdienst im idyllischen bayerischen Dorf Oberstraßkirchen. Der Pfarrer (Sepp Schauer, bekannt aus TV-Soap „Sturm der Liebe“) bittet um eine Spende, der Ministrant (Kabarettist Martin Frank) sammelt diese ein – per Kartenzahlung: Willkommen in der schnelllebigen Welt des 21. Jahrhunderts. Die Kirchenkollekte per App bezahlen, das schmeckt dem Bürgermeister (Uli Bauer, unnachahmlicher Nockerberg-Darsteller von Christian Ude) überhaupt nicht. Er und seine Gemeinderat-Spezln (Kramerwirt und Multitalent Hubbi Schlemer, Kabarettist Tom Kress und Johann Schuler, der im Kinofilm „Eine ganz heiße Nummer“ mitspielte) beschließen am Stammtisch ihren persönlichen „Drexit“ – ein Dorf steigt aus.

Wer spielt mit?

In turbulenten Szenen geht es mit Vollgas „mit dem Rückwärtsgang nach vorne“ in die scheinbar unkomplizierten 1980er Jahre. Die Babyboomer Generation ist begeistert, die wilde Jugendzeit noch einmal aufleben zu lassen. Dauerwellen werden geföhnt, breite Schulterpolster getragen, die D-Mark wieder einführt, Disco-Sound ertönt, Raucherverbot adieu, die Partys sind bunt und lustig.

Bei diesen alten Zeiten kann selbst die Polizei (dargestellt vom Comedy-Duo Steckerlfisch & Schlagsahne) nicht widerstehen, feiert ausgelassen mit und winkt einen alkoholisierten Autofahrer (Musik-Kabarettist Roland Hefter) nicht nur fröhlich durch, sondern gibt ihm noch eine „Halbe“ zur Wegzerrung mit. Auch die Postboten (die beiden Kabarettisten Michael Altinger und Alexander Liegl) können bei der Wirtin (Kabarettistin Franziska Wanninger) bei mehreren Bierchen entspannen, denn dank der „neuen alten Zeit“, gibt es für sie fast nichts mehr zu tun.

Wählscheibe statt Smartphone

Die Dorfjugend aber kann sich nur schwer mit dem „Rückschritt“ anfreunden. Als Julia, die Tochter des Bürgermeisters (Hannah Bauer) feststellt, dass das Internet abgeschaltet wurde und sie statt zum Handy nun zum Festnetz, Wählscheibe und Walkman zurückgreifen muss, fängt sie an zu rebellieren.

Dies wissen Bürgermeister Moosbauer und sein Gemeinderat zu verhindern: „Wir bauen eine Mauer – we make Bayern great again!“ Gesagt, getan: In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wird das Dorf abgeschottet von der Außenwelt. Und mutiert so zur antiquierten Attraktion. Selbst der bayerische Ministerpräsident (Wolfgang Krebs) begutachtet das „Pilotprojekt“.

Befreiungsaktion schrammt knapp am Drama vorbei

Als Julia nicht mehr zu ihrem „Romeo“ (Jonathan Gertis aus „Dahoam is Dahoam“) jenseits der Mauer kann, stachelt sie die Dorfjugend zur Revolution an unterstützt von ihrem Verehrer (Regisseur Sebastian Schindler). Als die Befreiungsaktion knapp an einem Drama vorbeischrammt und auch die treue Gattin (Corinna Binzer) sich vom Bürgermeister abwendet, kommt dieser wieder zur Vernunft und es gibt einen neuen Mauerfall.

Sebastian Schindlers beschwingt-charmanter Film setzt die Tradition der bayerischen Dorfkomödie fort und kann mit jedem „Eberhofer-Krimi“ mithalten. Er vereint die bayerische Kabarett-Elite, pflegt den alpenländischen Dialekt in pfiffigen Dialogen und zeigt Lokalkolorit. „Mit dem Rückwärtsgang nach vorne“ ist ein amüsantes Lustspiel in glänzender Besetzung und bietet eine Neuentdeckung: Hannah Bauer verkörpert die Bürgermeistertochter mit großen blauen Augen, Charme und Esprit. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, denn auch der Vater – der leibliche – Uli Bauer mimt den Bürgermeister so realitätsnah, als sei er immer einer gewesen.

Charismatisches Ensemble

Ein charismatisches Ensemble ist in dieser Dorfkomödie vereint, sympathische Figuren, eingefangen in stilechten Bildern (Kamera: Markus Beham) und untermalt ist diese freche Heimatfarce von dem gleichnamigen Oimara-Song.

Alles Zutaten für einen Kino-Kassenschlager, der sich von den großen Vorbildern nur in einem unterscheidet: Der 23-jährige Autodidakt Sebastian Schindler schafft es nicht nur Stars aufs Land zu holen, Familie, Freunde und ein professionelles junges Filmteam zu verpflichten, sondern auch in einer Rekordzeit von nur 18 Tagen einen Kinofilm aus dem Boden zu stampfen und das mit einem Budget von nur 20 000 Euro.

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Zum Vergleich: Einen Low-Budegt-Film beziffert man zwischen 75 000 Euro und 1,5 Millionen. Der Kinosommerhit vom Vorjahr „Eine ganz heiße Nummer 2.0“ beispielsweise wurde allein mit knapp 600 000 Euro an Fördermitteln unterstützt. Respekt für Sebastian Schindler und sein Team für diese gelungene Unterhaltung.

© Marie Theres Relin – erschienen in OVB am 4. August 2020