OVB – Zwischen den Stühlen

Schauspieler zwischen allen Stühlen

Ich und Corona: Marie Theres Kroetz Relin über den Krisen-Alltag der Schauspieler

von Marie Theres Kroetz Relin

Mit welchen neuen Bestimmungen werden wir nächste Woche wieder überrascht?, fragt sich die Kulturschaffende Marie Theres Kroetz Relin aus Wasserburg. Detlev Schneider

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Mit welchen neuen Bestimmungen werden wir nächste Woche wieder überrascht?, fragt sich die Kulturschaffende Marie Theres Kroetz Relin aus Wasserburg.
Foto: Detlev Schneider

Die in Wasserburg lebende Schauspielerin Marie Theres Kroetz Relin sollte die Hauptrolle in einem Theaterstück spielen. Dann kam die Corona-Krise. In den OVB-Heimatzeitungen berichtet sie von Proben online, Hoffnungen, Enttäuschungen und vom Gefühl, zwischen den Stühlen zu sitzen.

WasserburgDie Kultur- und Kreativwirtschaft ist mit 105 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung auf Platz Nummer zwei – direkt hinter der Autoindustrie. 1,7 Millionen Menschen sind in ihr beschäftigt – so viele wie in keiner anderen Branche. Doch durch die Corona-Krise ist das Kulturleben fast zum Stillstand gekommen – mit drastischen Auswirkungen auf die Menschen, die in diesem Bereich arbeiten. Die Aktion „#kulturerhalten“macht auf die schwierige Situation der der Künstler aufmerksam – und schaffte es in die Fernsehsendung „Mann, Sieber“, wo die Kabarettisten die Lanze für die Kulturschaffenden brachen.

 

Doch wie schaut der Krisen-Alltag einer Solo-Selbstständigen und das Hoffen und Bangen, das Sitzen zwischen den Stühlen tatsächlich aus? Die in Wasserburg lebende Schauspielerin Marie Theres Kroetz-Relin berichtet von ihrem veränderten Alltag während der Corona-Pandemie:

 

Das erzählt Schauspielerin Marie Theres Kroetz Relin

„Ein Sahneschnittchen!“, stöhnt Lisa, als sie ihrer besten Freundin über den nächtlichen Sex in einer „feucht-triefenden“ Wellnessgrotte berichtet und beteuert weiter „Ein klitzekleines Abenteuer, alles völlig unbedeutend, außer das Gefühl, immer noch begehrenswert zu sein! Man kann doch mal einen kleinen Fehler machen, ohne dass man es will. Ich liebe Berti, das weißt Du!“ Das ist „Ungeheuer heiß“, eine rasante Komödie und Co-Produktion des Theaters im Rathaus in Essen und der Komödie im Bayerischen Hof, München.

„Mama, kannst Du nicht das Fenster zu machen, was sollen denn die Nachbarn denken!?“ ruft mein Sohn von unten. Ups, die Nachbarn! So geht’s einer Schauspielerin im Homeoffice, die Theater-Online-Proben hat.

Am Bildschirm statt auf der Bühne vereint: Die Schauspieler (von links oben) Kerstin Fernström, Markus Majowski, Ricardo Angelini, Franziska Traub, Marie Theres Kroetz Relin und Sebastian Waldemer.
Foto: Team Ungeheuer Heiß

Die Schauspielerin wird zur „Miss Marple der Bürokratie“

Eigentlich wollte ich hier nur pfiffig meine derzeitigen Arbeitsbedingungen aufschreiben. Lustig, denn schließlich machen wir Komödie und kein Drama. Doch mittlerweile ist mir das Lachen vergangen und ich bin verwirrt. Von der kreativen Schauspielerin, Autorin, Eventveranstalterin mutierte ich zur Miss Marple der Bürokratie, die mühevoll versucht, die täglich neuen Bestimmungen zu durchschauen. Erfolglos, ich könnte heulen und verstehe nur noch spanisch.

Pragmatismus bei den Schauspielern

Sechs Wochen probte ich via Videokonferenz mit meinen bis heute virtuellen Kollegen täglich zwischen drei und vier Stunden. Theater via Internet einzustudieren, funktioniert das überhaupt? „Ich genieße den Kontext, beweine den Mangel an echtem Kontakt und feiere das Chaos und die Chance, das Beste daraus zu machen“, sagt Regisseur Markus Majowski, der auch Berti, meinen hintergangenen Ehemann, mimt.

Wie eine solche Theaterprobe per Videokonferenz ablief, sehen Sie in diesem Video!

„Ungeheuer heiß“ ist eine absurde schwedische Komödie, eine Erstaufführung in der Übersetzung von Kerstin Fernström, die meine Schwester spielt. Die Frauen in dieser Verwechslungskomödie sind die Frechen. Alle jenseits der 50 schnappen sie sich jugendliche Lover, betrügen, lieben, ergeben sich der Treue und erreichen, was sie wollen. Da wirken die Männer wie liebevolle Pandabär-Hausmeister oder leicht anzurührende Sahneschnittchen. Letztere gespielt von den gut aussehenden Kollegen Ricardo Angelini und Sebastian Waldemer.

Coronavirus macht Kroetz Relin Strich durch die Rechnung

Immer landete ich in der Schublade, von der einst schönen, tränenreichen Geliebten bis zur heute verbissenen Alten. Nur die Lustige durfte ich nie mimen. Bis auf einmal, dafür bekam ich dann gleich die Goldene Kamera. Mich reizte Komödie, aber oh weh, 30 Jahre stand ich nicht mehr auf der Bühne. Da kann einem schon der „Arsch auf Grundeis“ gehen, wie man im gepflegten Bairisch sagt. Ich Grünschnabel.

Und ausgerechnet dann, wenn man denkt, jetzt arbeite ich mit fleischgewordenen Menschen im Theater, trabt Madame Corona daher. Da ist guter Rat teuer, darum eine kurze Rückfrage bei meinem Ex, dem Theaterprofi Franz Xaver Kroetz, der in jungen Jahren viel Bauerntheater spielte: „Du musst den Satz servieren. Und wenn Du sagst, was Du denkst, dann hört man Dich bis in die letzte Reihe.“

Wenn es ans Text lernen geht, hilft ein Trick von Maria Schell

80 Wiederholungen bedarf es, um sich ein Wort zu merken. Minimum. Ich lese also 80 Mal das Stück, so kann die Rolle langsam wachsen, und führe dabei eine Strichliste wie der Knastbruder an seiner Wand. Diese Methode habe ich von meiner Mama, Maria Schell, und ich liebte es, als Kind unter ihre Bettdecke zu kriechen, sie beim Rollenstudium zu beobachten und die Striche zu zählen, während der frische Kaffee in der Nase kitzelte.

Die Premiere wird alle 14 Tage verschoben

Die Premiere war ursprünglich für den 30. April im Theater im Rathaus in Essen, im Herbst dann die Tournee geplant. Seit dem Online-Probenbeginn wurden wir alle 14 Tage von der Politik „verschoben“. Wochenlang Text lernen, lesen, umsetzen, leben und dabei nur statisch vor dem Computer sitzen. Neuronale Verknüpfungen zwischen Text und Handlung tun sich schwer, die Grenze der Vorstellungskraft ist erreicht. Als „Notlösung“ oder „wahres Wunder“ bezeichnen die Schauspieler unterschiedlich die gemeinsame Arbeit, aber alle sind sich einig: „Das Theater ist für mich immer noch ein magischer Ort“, sagt Franziska Traub, die Gerda, „eine arbeitslose Chaotin mit Witz und Herz“ und meine beste Freundin spielt.

Emotionale Achterbahnfahrt für Marie Theres Kroetz Relin

Emotionale Gefühlsachterbahnen löst die Warterei aus. Schauspielerin im Standby-Modus, gewappnet innerhalb von 14 Tagen Premiere zu haben. Ja, nein, ich werde wahnsinnig.

Zwischen Hoffen und Bangen

Nach der Ministerpräsidenten-Konferenz am Mittwoch steht es am Donnerstag, 7. Mai in der Zeitung: „NRW: Theater und Kinos dürfen ab 30. Mai unter Auflagen öffnen“. Mit einem Bein bin ich schon im Koffer. Die Ernüchterung erfolgte am Freitag, 8. Mai, als wir vom vorzeitigen Ende der Spielzeit erfahren: „Ungeheuer heiß“ wird auf unbestimmte Zeit verschoben. Was denn nun? Ich verstehe nur noch Bahnhof!

Mal hüh, mal hott

Nachfrage beim Intendanten des Theaters im Rathaus in Essen, René Heinersdorff: „Es ist leider chaotisch. Erst mussten wir um das Verbot betteln, dann hat uns die Stadt den Spielbetrieb untersagt. Die Kulturpolitiker aber haben uns versichert, dass ihnen das Schicksal der Privattheater sehr am Herz läge, da liegt es nun seit acht Wochen. Ministerpräsident Armin Laschet hat uns dann und seine eigenen Minister überrascht mit einer Wiederöffnungsoption zum 30. Mai und zwei Stunden später hat die Ministerin für Kultur das für die staatlichen Häuser wieder zurückgenommen. Nun haben das Gesundheitsamt und die Berufsgenossenschaft mit unüberwindbaren Hygieneanforderungen uns auch diese Option wieder genommen. Wir fühlen uns wie ein Hallenbad, das öffnen, aber kein Wasser in die Becken füllen darf.“

Auch die Komödie im Bayerischen Hof steht vor enormen Herausforderungen. „Wir sind ein unsubventioniertes Theater mit etwa 400 Vorstellungen und 120 000 Besuchern im Jahr“, so Thomas Pekny, Intendant der Komödie im Herzen Münchens. „Wir sind ähnlich groß wie die Münchener Kammerspiele, die im Jahr mit etwa 35 Millionen Euro unterstützt werden, das heißt fast 100 000 Euro pro Tag. Wir erhalten bis jetzt noch keine Unterstützung und daher subventionieren wir uns von je her selbst durch die Einnahmen, die wir durch Tourneetheatervorstellungen erwirtschaften. Die meisten Stücke, die wir auch im Haus spielen, sind vorher auf Tournee. Nur so ist es uns möglich, das Traditionstheater im Bayerischen Hof am Leben zu erhalten. Da aber auch die Möglichkeit der Durchführung von Tourneegastspielen momentan nicht gegeben ist, stehen wir tatsächlich vor sehr großen Problemen. Trotz allem sind wir hoffnungsvoll und glauben nicht, dass ein unsichtbares Virus den Menschen nehmen kann, was Menschsein bedeutet, nämlich sich mit Kunst und Kultur zu befassen, die natürlich mindestens genauso systemrelevant sind wie Fußball.“

Solo-Selbstständige nicht systemrelevant

„Systemrelevant“, da ist es wieder das Unwort des Jahres. Ja, ja, ich oute mich: Ich bin Mutter dreifachen Humankapitals, Solo-Selbstständige und nicht systemrelevant! Apropos: Ich erhalte als Schauspielerin nur pro Vorstellung ein Honorar. Bleibt zu hoffen, dass uns viele Veranstalter im Herbst auf Tournee buchen und dass es die Theater auch noch im kommenden Jahr gibt.

Meine Kino-Events in der Region18 kann ich bedauerlicherweise aufgrund der Corona-Verordnungen auch nicht planen und das obwohl die Stars jetzt in rauen Mengen Zeit hätten und liebend gern zu uns aufs Land in die Kinos von Wasserburg, Prien, Trostberg und Bad Reichenhall kämen.

Aber immerhin werde ich als Autorin dieses Textes bezahlt. Zwischen 0,20 Cent und 1 Euro liegt das Zeilenhonorar eines Journalisten. Ich schrieb 55 Zeilen. Brutto. Arbeitszeit, ach vergessen wir’s. Abwarten und Tee trinken. Notfalls kann ich mich ja meinem Kollegen anschließen, der meinte: „Unbezahlte Arbeitszeit kann man aber elegant durch das Sammeln von Pfandflaschen kompensieren.“

Wie sagte die Kanzlerin in ihrer Videobotschaft? „Liebe Künstlerinnen und Künstler, ich weiß, dass es eine sehr, sehr schwere Zeit für Sie ist. Ich weiß, was wir alles vermissen und wie viele Bürgerinnen und Bürger darauf warten, endlich wieder live ihre kulturellen Angebote erleben zu können. Bis dahin versuchen wir, so gut wie es geht, Sie zu unterstützen durch unsere Hilfsprogramme, aber auch dadurch, dass wir sagen, wie wichtig Sie für uns sind.“

Ach, da wird’s einem doch ganz warm ums Herz, oder? Egal, dass die meisten Hilfsprogramme nicht greifen oder mit unüberwindlichen Auflagen verbunden sind, Hauptsache wir bekommen auch ein wenig Applaus, wir Lebenskünstler.

© Marie Theres Kroetz Relin, erschienen OVB am 15. Mai 2020 online und am 16. Mai 2020 in der Print-Ausgabe