Integrationsarbeit der Trostberger Brückenschule umfasst nun auch eine Frauengruppe
Die Frauengruppe der Brückenschule freut sich über den Besuch der Landtagsabgeordneten Gisela Sengl (Mitte mit Baby auf dem Arm). Die Schülerinnen mit ihren Kleinsten, die ehrenamtlichen Lehrerinnen Ilse Huber und Tanja Vierling (von links), Martina Gehrmann (Zweite von rechts), Marie-Theres Kroetz-Relin (Fünfte von links) und Bufdi Nuria Ishaq (Fünfte von rechts), sowie die Initiatorinnen der Brückenschule, Marianne Penn, Simone Ishaq und Brigitte Bartl, stellten viele Fragen. −Foto: Frei
Trostberg. Das Klassenzimmer ist im hinteren Teil eine bunte Spielecke. Zweijährige Buben lassen übermütig ihre Spielzeuglaster kollidieren, ein anderer bringt einen wackeligen Turm zum Einstürzen und zieht sich dabei den Zorn des kleinen Baumeisters zu, ein erst einjähriges Mädchen quietscht vergnügt auf dem Arm der Lehrerin. Acht Frauen sitzen derweil an den Schulbänken und üben das Formulieren der Uhrzeit, die Tanja Vierling und Ilse Huber auf die Tafel zeichnen. Manchmal verstehen sie ihr eigenes Wort nicht. Dann lachen sie und sagen es eben lauter.
In den Klassenzimmer-Containern hinter der Realschule Trostberg, in denen eine Gruppe von tatkräftigen ehrenamtlichen Trostbergern um Marianne Penn, Brigitte Bartl und Simone Ishaq vor gut drei Jahren die Brückenschule eingerichtet haben, hat sich viel getan. Während am Anfang der Unterricht breit gefächert war, um den meist männlichen jungen Asylbewerbern auf freiwilliger Basis die deutsche Sprache und Kultur sowie Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln, die ihnen den Alltag erleichterten, hat sich das Angebot mit der Zeit verändert. Es wurde angepasst an die veränderten Bedürfnisse. An drei Tagen pro Woche steht jetzt an den Vormittagen „Frauengruppe“ auf dem Stundenplan.
Eine dieser Frauen-Stunden hat kürzlich die heimische Landtagsabgeordnete der Grünen, Gisela Sengl, besucht. Sie ist zunächst einmal überrascht vom Lärmpegel im Klassenzimmer – die Spielzeuglaster rattern jetzt wie Schubraupen über die Bauklötze des zerstörten Turms. „Die Männer können konzentrierter lernen als die Frauen. Die haben wohl keine Kinder dabei“, meint Sengl. Marianne Penn erklärt, dass es wichtig sei, dass die Frauen ihre kleinen Kinder, die noch nicht in den Kindergarten gehen, mitnehmen können. Andernfalls würden sie nicht zum Unterricht kommen. Deshalb seien meist vier Lehrerinnen, am Freitag drei, eingeteilt: So können sich immer ein oder zwei Lehrerinnen um die Kinder kümmern, während die anderen zwei die Frauen unterrichten. Ilse Huber lacht: „Außerdem sind die meisten Frauen den Lärmpegel gewöhnt.“
„Habt ihr alle Kinder?“, fragt Sengl in die Runde. Die Frauen aus Afghanistan, Syrien, Eritrea und Nigeria nicken. Eine Frau aus Afghanistan erzählt, sie habe sechs Kinder. Die drei erwachsenen Kinder und ihr Mann seien abgeschoben worden. Sie lebt mit ihren minderjährigen Söhnen und Töchtern jetzt allein in Trostberg. Eine andere Frau berichtet, sie habe vor einem Jahr einen Asylantrag gestellt und noch immer keine Antwort bekommen. Sengl sagt: „Ja, es ist schlecht, dass es so lange dauert.“ Im Bundesamt liege ein großer Stapel von Anträgen, der abgearbeitet werden muss.
Grünen-Politikerin Gisela Sengl: „Ihr leistet enorm viel für eure Familien.“
Die Landtagsabgeordnete aus Sondermoning macht den Frauen Mut, weiterhin in die Brückenschule zu gehen und Deutsch zu lernen. Die Sprache eines Landes zu sprechen, ermögliche es einem, Teil der Gesellschaft zu werden. „Wenn man die Frauen nicht mitnimmt, macht Integration keinen Sinn“, so Sengl. Mit der Erziehung der Kinder würden Frauen die Zukunft gestalten. „Wenn es den Frauen gut geht, geht es auch der Gesellschaft gut“, betont die Grünen-Politikerin. Zu den Schülerinnen sagt sie: „Ihr leistet enorm viel für eure Familien.“
Drei Mal pro Woche besuchen die Frauen vormittags eine Doppelstunde mit den Lehrerinnen Tanja Vierling, Ilse Huber, Christl Schmid, Veronika und Ellen Botsch, Marie-Theres Kroetz-Relin und der Bundesfreiwilligendienst-Leistenden (Bufdi) Nuria Ishaq. Später büffeln viele der Frauen noch in den Kursen A1 oder A2 Deutsch. Diese bieten die Bufdis Jakob Mooser und David Meyer für Asylbewerber an, die die Kurse nicht von staatlicher Seite bezahlt bekommen, weil ihre Bleibeperspektive aufgrund ihres Herkunftslandes schlecht ist. Nach der Frauengruppe findet außerdem drei Mal pro Woche PC-Unterricht für Frauen bei Martina Gehrmann statt. Marianne Penn freut auch das sehr, denn „PC-Fertigkeiten waren bisher eine Männerdomäne.“
Auch sprachlich machten die Frauen gute Fortschritte. „Manche sprechen mittlerweile besser deutsch als ihre Männer“, sagt Penn. Dabei seien die wenigsten Frauen in ihrer Heimat je in eine Schule gegangen. Viele haben erst in der Brückenschule in Trostberg das Lesen und Schreiben gelernt. Zwei Frauen erklären, sie seien Näherinnen. Eine klassische Berufsausbildung hat keine der Frauen. „Dabei sind sie so wissbegierig“, lobt Ilse Huber.
„Wir haben viel geschafft“, stellt Marie-Theres Kroetz-Relin fest. Am Anfang sei eine Frau zum Beispiel voll verschleiert zum Unterricht gekommen, jetzt trage sie nur noch ein Kopftuch. Dass sich die geflüchteten Frauen den westlichen Gepflogenheiten gegenüber öffnen, das brauche seine Zeit. Als die Lehrerinnen im Sommer in einem privaten Gartenpool zum Schwimmunterricht luden, trauten sich viele Frauen nicht, sich zu entblößen. In der ersten Schwimmstunde hatten die meisten noch Leggings und T-Shirt an. „Vor der zweiten Stunde hatten sich die meisten aber schon in der Kleiderkammer Badeanzüge geholt“, freut sich Tanja Vierling.
Jeder kleine Schritt sei viel wert. „Wir haben eine Frau, die jetzt auch mit ihren Kindern mit dem Fahrrad zum Kindergarten fährt“, erzählt Simone Ishaq. Dass Frauen Rad fahren sei in vielen Ländern nicht üblich. Ein Problem sei allerdings die Frage der Versicherung. „Was ist, wenn ein Unfall passiert?“, fragt Kroetz-Relin. Sengl informiert, dass Kommunen eine Haftpflichtversicherung für Geflüchtete abschließen können. „Das bringt für ein paar Tausend Euro einen großen Effekt“, so Sengl.
Ohne Ehrenamtliche hätte Aufnahme der Geflüchteten nicht funktioniert
Von der Bundespolitik erhofft sich Marie-Theres Kroetz-Relin auch mehr Unterstützung für die Ehrenamtlichen. „Sie sind jede Woche hier, um zu unterrichten, und bekommen dafür nichts.“ Sie fordert: „Die ehrenamtliche Arbeit sollte zumindest für die Rente anerkannt werden.“ Sengl sagt über die Aufnahme der Geflüchteten in den vergangenen drei Jahren: „Ohne Ehrenamtliche wäre es nicht gegangen.“
Die Brückenschule ist das beste Beispiel für den Erfolg der ehrenamtlichen Arbeit. Die meisten Schüler der ersten Stunde wurden schon längst in Arbeit vermittelt oder machen eine Ausbildung. Aber auch sie erfahren weiterhin Unterstützung: Abends wird in der Brückenschule Nachhilfe für Azubis, Mathe für Azubis oder Nachhilfe für Integrationskurse angeboten. Wiederum nur von Ehrenamtlichen.
Die bunten Bauklötze purzeln mittlerweile durchs ganze Klassenzimmer. Die Lehrerinnen ermahnen die Kinder am Ende der Stunde, alle Spielsachen aufzuräumen. Auch das gehört zum Unterricht der Frauengruppe: Selbst Buben müssen beim Aufräumen helfen – genau so wie die Mädchen.
© Lucia Frei, erschienen im Trostberger Tagblatt / Passauer Neuen Presse am 29.12.2018