Alle Bilder (c) Detlev Schneider;
AKTUELLE - Viva la Mamma- wenn sie das erlebt hätte....
Der Tod meiner Mutter veränderte schlagartig meine Lebens-Sichtweise: Bis dahin stand ich im Sandkasten und schaufelte viele kleine Löffel Sand in mein Förmchen - „Backe, backe Kuchen“ - ganz selbstverständlich. Ich sammelte ein buntes Leben und klopfte mit meinem „Energie-Schäufelchen“ auf den Sand. Am 26. April 2005 wurde mein Lebens-Sand von Tränen durchtränkt, als ich mich endgültig von meiner Mutter verabschieden musste. Ich nahm also die Form und kippte sie um: mein Lebenskuchen stand vor mir.
Der Inhalt war der gleiche geblieben, aber der Blick darauf ein anderer geworden. Mir wurde klar, dass gar nichts „selbstverständlich“ ist: Die Grundlage für unsere Existenz in dieser Gesellschaft ist die Arbeit der Frauen, aber diese wird sowohl qualitativ als auch quantitativ unterbewertet und ihre Leistung viel zu wenig wahrgenommen. So auch bei meiner Mutter: In Deutschland wurde Maria Schell gern in die Heile-Welt-Schublade gestopft und als „Seelchen“ abgestempelt. Dabei hatte sich doch diese große Seele mit ihren Filmen in viele Herzen gespielt!
Ich war dankbar, dass wenigstens meine Hommage sie noch erreichte: einen Tag vor ihrem Tod erschien mein Text „Eine lebende Legende ruht sich aus. Viva la Mamma!“  in Die Aktuelle.

Dass die Filmlegende endlich die Ehre erhält, die ihr gebührt, dafür sorgt nun mein Bruder Oliver Schell. Ein Gespräch unter Geschwistern:

M.Th.:  Das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt plant eine große Ausstellung. Wie ist es zu dieser Zusammenarbeit gekommen?

Oliver: Noch zu Muttis Lebzeiten entstand die Idee zu dieser Ausstellung. Gunther Fette, ein langjähriger Freund der Familie, arbeitet mit dem Deutschen Filmmuseum zusammen und trat mit dieser Idee an Maximilian und mich heran, aber damals wurde nichts daraus.
Nach Mutti's Tod war der Zeitpunkt erreicht, ihr ein Denkmal zu setzen, damit diese große Schauspielerin nicht in Vergessenheit gerät. Es gab erneut Gespräche und Maximilian sagte seine Unterstützung zu. Er brachte mich mit Hans-Peter Reichmann zusammen, der mich mit der Ersterfassung des Nachlasses beauftragte.

M.Th.:  Wie hast Du den Nachlass ausgesucht?

Oliver: Ich habe zunächst versucht mir einen Überblick zu verschaffen, was überhaupt noch alles vorhanden ist. Die Vorgabe des Museums war, sich hauptsächlich auf jene Dinge zu konzentrieren, die mit Ihrem beruflichen Schaffen zu tun haben, also Drehbücher, Film- und Bühnenfotos, Auszeichnungen, Plakate, Verträge, Notizen, Requisiten, sowie natürlich die ganze Presse - von Kritiken über Klatsch, die Korrespondenz mit Theateragenturen, Filmstudios, Agenten und so weiter. Dabei sollte aber versucht werden, neben dem "Weltstar" auch die "private" Seite der Maria Schell zu zeigen. Also ging ich auf die Suche und fand Fotos, Dokumente, Briefe und diverse Gegenstände, die ein Bild von ihr abseits der Öffentlichkeit ermöglichen.

M.Th.: Mit wem hast Du den Nachlass ausgesucht?

Oliver: Ich habe Sarah (seine Tochter) mit auf die Alm genommen. Sie war mir durch ihre schnelle Auffassungsgabe, ihr präzises "Sich-Hinein-Denken" und ihren enormen Fleiß eine große Hilfe. Sarah besucht die Fachoberschule für gestaltende Kunst in München und schreibt dieses Jahr ihr Fachabitur. Für sie war es eine schöne Gelegenheit, sich mit dem Leben und beruflichen Wirken ihrer Großmutter, die sie ja leider nur noch im Stadium der Krankheit erlebt hatte, auseinander zu setzen.

M.Th.: Welche Gefühle löste die Suche nach „Mamis Spuren“ in dir aus?
 
Oliver: Da die Ersterfassung des Nachlasses schon relativ kurz nach Muttis Tod stattfand, hatte ich ein wenig Bammel, die erste Person zu sein, die das Haus betritt. Es war ja alles verschlossen worden- zugezogene Vorhänge und Zutritt für niemanden- um ihr Zuhause vor neugierigen Blicken zu bewahren. Aber als Sarah und ich zu arbeiten begannen, war es wie ein "Nachhausekommen":  Ich habe mich in Muttis Haus sofort warm und geborgen gefühlt, da war von "Tod" und "Krankheit" nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil, es war eher so, als ob Muttis Seele in jedem Winkel ihres Hauses gerufen hätte "Schön, dass ihr das macht, ich danke euch!" Klingt merkwürdig, aber es war wirklich schön, so kurz nach Muttis Tod in ihren Räumen den Grundstein zu ihrem Denkmal setzen zu dürfen.

M.Th.: Wie hast Du Mami, privat und beruflich, in Erinnerung?

Oliver: Ich erinnere mich in erster Linie an einen Freund, allerdings einen schwierigen Freund. Ich habe Mutti über alles geliebt. Sie war in der Lage, meine tiefsten Gefühle, Gedanken und Ängste zu verstehen und sie setzte dieses Verständnis für mich in Hilfe, Worte und auch Taten um. Aber durch ihren Beruf, ihrer "Berufung" und dem Drang nach "mehr Leben" konnte sie mir diese Hilfe nicht in der Kontinuität geben, wie ich es eigentlich gebraucht hätte.
In ihrer Arbeitsweise war sie eine große Verfechterin der Methode von Stanislawski: sie hat sich immer hundertprozentig in ihre jeweilige Rolle begeben, sie lebte sie mitsamt der erdachten Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Jede Rolle wurde so zu ihrer eigenen „Wahrheit“, gepaart mit ihrer Begabung wirkte sie für ihr Publikum immer glaubhaft.
Aber für uns Kinder war es streckenweise schon schwierig.  Denn Kinder brauchen eine Mutter deren Seele DA ist, und nicht irgendwo gerade in der Seelenwelt einer "Gruschenka" steckt. Heute verstehe ich Mutti, sie konnte nicht anders handeln. Sie war, auf ihre Weise, die beste Mutter.
 
M.Th.: Was erhoffst Du Dir von der Ausstellung?

Oliver: Mit dieser Ausstellung wird einer großen Schauspielerin des 20. Jahrhunderts ein würdiges Denkmal gesetzt. Man darf nicht vergessen, dass Mutti nach dem 2. Weltkrieg, als wirklich alles in Schutt und Asche lag, den in jeder Hinsicht ausgehungerten Menschen die Hoffnung wieder gegeben hat. Die Ausstellung soll an eine Frau erinnern, die sich, vermutlich unbewusst, dazu entschlossen hat, durch ihre Schauspielerei den Menschen zu zeigen, dass es immer noch Liebe und Hoffnung gibt! Und deshalb wurde sie so geliebt.



© Marie Theres Kroetz Relin 2006- erschienen in "Die Aktuelle" am  22.04.05 in Heft 17
 
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