Alle Bilder (c) Detlev Schneider;
Aktuelle- In jeder Frau steckt eine Ministerin

Ich husche ins Bad, um mich in aller Schnelle zu schminken. Ich habe einen Termin bei der Familienministerin. Einen  Privaten! Nach fünf Jahren Hausfrauenrevolution habe ich eigentlich das Ziel, das ich mir gesteckt hatte erreicht: mit meinen Anliegen zur Familienpolitik persönlich im Bundesministerium vorzusprechen. Jetzt ist es soweit. Ich beginne mit meinen „Renovierungsarbeiten“ im Gesicht. Meine Gedanken wirbeln. Ich bin gut vorbereitet: ich habe Unmengen über Ursula von der Leyen gelesen, meine Anliegen und Themen gut formuliert und notiert. Viel habe ich über diese Frau schon geschrieben, zweimal stand ich mit ihr bei Talkshows vor der Kamera, meistens hatte ich eine andere Vorstellung von Politik, öfter kam es zu Meinungsverschiedenheiten. Aber heute soll es anders sein. Sie gibt mir eine Chance, ich gebe ihr eine Chance. Keine Vorurteile, keine Schubladenbilder, keine verbissene Haltung. Ich drücke in meinem Innersten auf die Reset-Taste und schaue dabei in den Spiegel. „Du meine Güte, hab´ ich heute rot unterlaufene Augen!“ sage ich erschrocken zu mir selbst. Und dann fällt mir auf, dass ich den Lippenkonturenstift mit dem Kajal verwechselte. „Das kann ja heiter werden!“ murmele ich und wische mit dem Abschminktuch das verheerende Rot wieder weg. Also noch mal von vorne. Schnell mache ich mich fertig und düse zum Taxi. Adresse angeben und los. Ich bin wieder mal zu spät, aber gerade noch früh genug, um pünktlich zu sein.
Mein Pferd wiehert. Das ist der Klingelton meines Mobiltelefons für meine Kinder. Unverwechselbar. „Mama!“ höre ich die verzweifelte Stimme meines Sohnes, „Mir wurde mein Handy geklaut!“ Ich schlucke. „Schatzi, können wir das später besprechen? Ich habe jetzt einen Termin bei der Familienministerin.“ Ein leises Seufzen ist zu hören, „Ja, gut.“ Meine Gedanken kreisen weiter. Wie das wohl ist, wenn man sieben Kinder hat? Die haben doch sicher auch alle fünf Minuten ein Wehwehchen und verlangen nach der Mama?
Der Taxifahrer hält vor einem grauen Plattenbau-Hochhaus am Alexanderplatz. Ich bin irritiert. Ein Ministerium muss doch einem prächtigen Gebäude gleich sehen? „Sind Sie sicher, dass das hier das Familienministerium ist?“ frage ich zögernd. „Ja, gucken Sie mal hin, der Adler ist druff.“, sagt der Taxifahrer in breitem berlinerisch. Stimmt, der Adler ist druff. Ich steige aus und gehe zum Empfang, möchte zaghaft meinen Namen stottern, aber da heißt es: „Einen Moment, Frau Kroetz Relin, Sie werden gleich abgeholt.“ Huch, man kennt mich hier? Ich setze mich auf ein einsames Sofa und warte. Draußen toben die Bagger. Links eine Baustelle, rechts eine Baustelle. Das Haus vibriert. Ich bin gespannt, welchen Sicherheitskontrollen ich mich unterziehen muss und was mich sonst noch alles erwartet. „Fahren Sie bitte in den 8. Stock, dort werden Sie abgeholt.“ Die freundliche Dame holt den Lift und ich fahre nach oben. „Die Ministerin lässt sich entschuldigen, sie ist in wenigen Minuten für sie da.“, sagt mir die nächste freundliche Dame und bringt mich ins Vorzimmer der Ministerin. Kontrolliert werde ich nicht. Die Vorhänge an den Fenstern wackeln während der ständigen Vibrationen. „Wie können Sie bei diesem Lärm arbeiten?“, frage ich die Sekretärinnen. „Ja, das ist schlimm. Schauen Sie, dass Blatt wackelt ununterbrochen.“ Ich starre auf die Pflanze, die rhythmisch wippt. Sieben Kinder, einen Job als Familienministerin, einen Termin nach dem anderen und arbeiten auf einer Bausstelle. Ob ich das aushalten würde? Nein, entscheidet mein Kopf.
„Ich habe mir das hier alles ganz anders vorgestellt.“, murmele ich „Sicherheitskontrollen, Leibwächter, ein riesiges Edel-Büro...“ – „Sie werden sicher keine Bombe dabei haben.“, lächelt die freundliche Dame: „Hier kommt ja schließlich nicht jeder rein.“ - „Nein!“ lache ich. Im selben Moment miaut meine Wildkatze, der SMS-Ton für meine Kinder. Unverwechselbar. Alle erschrecken, ich auch. „Entwarnung!“ lache ich, „Meine Tochter hat mir eine Nachricht geschickt, sorry.“  Die Tür geht auf und die Ministerin erscheint, gefolgt von ihrer Pressedame. Natürlich, sympathisch und ohne Tamtam. Sie begrüßt mich herzlich und ich folge ihr in das schlichte Büro.
Die Familienministerin schiebt mir einen Obstteller und Kekse hin. „Einen Milchkaffe?“ Ich nicke. Kaffe trinken wir beide gerne. Sie fragt nach meinen Kindern und was sie alles machten. Ich erzähle. „Seit Tagen versuche ich mir vorzustellen, wie das wohl ist, wenn man sieben Kinder hat. In den Medien ist die große Kinderzahl mittlerweile selbstverständlich. Ministerin Komma Mutter von sieben Kindern, heißt es. Allein die vielen Schwangerschaften, 5 ½ Jahre!“ - „Halt, einmal hab ich gemogelt- Zwillinge!“ lacht Ursula von der Leyen. Wir sind uns schnell einig, dass wir die gleichen Freuden und Sorgen mit unserem Nachwuchs haben und unterhalten uns über Hausaufgaben, die wir nicht mehr mit den Kindern lösen könnten, da sie für uns zu anspruchsvoll sind, über Pubertät und gleichmäßiges Liebe-verteilen, über da sein und weg müssen. Eben von Mutter zu Mutter. Alles gleichzeitig zu bewältigen, den Spagat zwischen Beruf und Familie hinzubekommen, fällt uns beiden schwer, manchmal bis an die Grenzen unserer Kraft.
Mittlerweile ist mir schon wurst, wie viele Angestellte die Frau Ministerin hat, die ich nicht habe. Ich habe Verständnis und Respekt vor ihrer Leistung. „Erst seit 5 Jahren gibt es die Hausfrauenrevolution?“ – „Ja,“ lache ich, „Ich wundere mich auch, dass ich jetzt schon bei Ihnen sitze!“ Wir lachen beide und dann beginne ich von meinen Frauen zu erzählen. Frauen und ihr Alltag. Echtes Leben. Massenarmut bei Kindern, Altersarmut bei Müttern beschäftigt mich. Ich schlage vor, dass das Ehegattensplitting an den erwerbslosen Partner ausgezahlt wird, da a) somit die Erziehungsarbeit staatlich anerkannt würde und b) mit diesem Geld eine private Altersvorsorge bezahlt werden könnte. Noch besser wäre es, das Geld gleich in eine „Elternzeit-Sozial-Versicherung“ fließen zu lassen. Weiter fordere ich, dass die Besteuerung von Patchwork-Familien geändert werden, müsste, denn sobald Mutti wieder einen neuen Mann bei sich einziehen lässt, verliert sie die Lohnsteuerklasse II für Alleinerziehende und fällt dann in die Klasse I. Das geht doch nicht. Einheitliche und verlässliche Schulzeiten, das wäre wichtig für uns Mütter, wenn wir berufstätig sein wollen. Und überhaupt: ein bundesweites einheitliches Schulsystem bräuchten wir auch. Kinder sollen spielend lernen. Hausfrauen auf Mini-Job-Basis für das fehlende Betreuungssystem engagieren. Allen wäre geholfen: Hausfrauen hätten einen Job, berufstätige Mutti kann ohne Sorgen zum Arbeiten gehen, den Staat kostet es nichts, denn finanziert würde es durch die Eltern, die diesen Service in Anspruch nehmen würden. Und natürlich spreche ich Vergünstigungen für Familien an. Wenn ich mit einer Gruppe ankomme, dann möchte ich bitteschön Rabatt. Bekommt ja sonst auch jeder, warum nicht Familien? Und für viele wäre es eine Hilfe, wenn öffentliche Verkehrsmittel, Museen und Co. für Kinder kostenlos wären. Da fällt mir auch noch die häusliche Gewalt, der Schutz der Kinder und eine unbürokratische Scheidung ein. Ich sprudle vor mich hin und die Ministerin hört mir interessiert zu und hinterfragt meine Vorschläge von Zeit zu Zeit. In den meisten Punkten sind wir uns einig. Und dass auch sie vieles ändern möchte innerhalb der Familienpolitik, steht klar im Raum. Ich verstehe nur zu gut, dass nicht alles von heute auf morgen verändert werden kann. Veränderung bedeutet Kampf und Ausdauer. Aber zusammenhalten kann man, um zu verändern. Das Motto meiner Hausfrauenrevolution bewahrheitet sich soeben.
Es klopft, Frau Ministerin wird zum nächsten Termin gebeten. Huch, wir haben die Zeit vergessen. Wir verabschieden uns, freundlich, mit Dank. Ich gehe auf die Strasse und atme zufrieden die Herbstluft ein. „In jeder Frau steckt eine Ministerin.“, denke ich mir mit einem Schmunzeln. „Zumindest fühl ich mich so, bei meiner kleinen Regierung, meiner Familie.“ Ich bleibe kurz stehen, betrachte das Ministerium. „Und in jeder Ministerin steckt auch eine Frau. Das weiß ich seit heute.“
 



© Marie Theres Kroetz Relin, erschienen in Die Aktuelle Heft 42
 
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