Alle Bilder (c) Detlev Schneider;
BUNTE - Kind der Liebe
Veit Relin, Maria Schell, Marie Theres 1966

Lieber Papi,

 

weißt Du, wer gestorben ist? Immer, wenn ein großer Künstler starb, klingelte das Telefon und traurig triumphierend stelltest Du mir diese Frage. Heute heißt die Antwort: Du! 

Aber Dich Multitalent in ein paar Zeilen packen? Das ist unmöglich! Deine Fantasie, Poesie und Vielseitigkeit waren grenzenlos – und einzigartig!

Schreib ich über den Theatermann, der mit seinen Erst- und Uraufführungen die Theaterwelt revolutionierte, werde ich dem passionierten Schauspieler und leidenschaftlichen Regisseur nicht gerecht. Schreib ich über den Intendanten des Torturmtheaters, der 40 Jahre die kleinste Bühne Deutschlands mit Wahrhaftigkeit fütterte, lass ich dabei den großartigen Maler, der mit Elan jedes weiße Papier zu einem Kunstwerk verwandelte, aus. Welch’ Dilemma!

L’art pour L’art – das bin ich.“. Du, Lebenskünstler!

Ich hasse Abschied nehmen. Meine Seele gleicht ungestümen Wellen. Und meine Kindheit trifft mich wie ein Bumerang. Wenn ich aber meine verweinten Augen schließe, spüre ich Deine wunderschönen Hände auf meinen Schultern und leise ertönen Deine Worte: „Das Resultat unserer Liebe bist du! Schau in den Spiegel! Es kann sich nur um ein ‚Kind der Liebe’ handeln.“

Für Mami warst Du DIE Rettung in ihrer krisengebeutelten Zeit: Ihr Held, der schönste Mann, der romantischste Liebhaber! Und ich, euer Wunschkind. Als 3-jährige stiefelte ich los, dem „Papi Retti“ zu bringen und hielt dabei die Zigarre (Du hast sogar unter der Dusche geraucht!) mit meinen kleinen Händen so fest, dass sie jedes Mal zu Bruch ging. „Fünf Hündchen hat der Franz“, Du liebtest meine Interpretation dieses Kindergedichts so sehr, dass ich es immer wieder aufsagen musste – bis es mir irgendwann zu blöd war: Eine, zwei und ich glaub, erst bei 20 Mark hörte ich mit meiner Litanei auf. So erkämpfte ich mir meine erste Rolle samt Gage in eurem Film „Die  Pfarrhauskomödie“. Aus Deinem Arbeitszimmer erschallte Anton Bruckner oder die Sportschau – eins von beiden, aber das ohne Unterlass. Wenn eine Oper im Radio lief, konntest Du ohne Mühe jeden Tenor an die Wand singen.

Ich war Dir Modell und Muse, die Aktzeichnungen im Kindesalter fielen mir schwer. Aber Mami suggerierte mir, in ihrer tiefen Liebe und Verehrung, dass man sich in der Kunst für Blöße nicht zu schämen brauchte. So übte ich mich in Demut vor der Kunst und vor dem Mann. Es kostete mich ein halbes Leben, diesen Leitsatz wieder loszuwerden.

„Der Kroetz, der wird mal so bekannt wie ein bunter Hund“, sagtest Du, als Du den jungen Dramatiker zu uns einludst. Ich war 11 Jahre alt und dachte „Bunter Hund? Den Typen muss ich mir genau anschauen!“ Dass daraus ein „buntes Leben“ mit, plus drei Kinder von, Franz Xaver Kroetz werden sollte, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen.

Zu viele Erinnerungen türmen sich. Dein Kind eignet sich nicht, einen Nachruf zu schreiben.

Aber ich bin fähig, Dir nach zurufen: Ich liebe Dich!

Egal, wo Du bist.

 

© Marie Theres Kroetz Relin, 27.01.2013, erschienen in Bunte am 31.01.2013 Heft Nr. 6

 
< Zurück
2017 Marie Theres Kroetz Relin
WEB-Design - Martin Wagner - PHP,MYSQL,Joomla